Es ist der Fluch der Hektik, der Tageszeitungsjournalisten dazu zwingt, jeder Geschichte stets den letzten Dreh zu verpassen: Das Neue ist nur der Aufhänger, auch wenn sich an den darunter liegenden Fakten über Wochen, ja Monate nichts ändert. Die Dramaturgie der Ereignisse rund um die Koalitionsverhandlungen zeigt das deutlich. | Heute sind wir wieder dort, wo wir Anfang der vorigen Woche bereits waren: Die Koalition scheint auf Schiene. Daraus zu schließen, die Inszenierung rund um zehn schwarze Fragen und sieben rote Antworten hätten sich alle Beteiligten sparen können, hieße jedoch, die besondere Qualität österreichischer Politik zu verkennen: Hierzulande ersetzt die Geste die Tat.
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Warum das so ist, darüber sind schon viele kluge Leitartikel geschrieben worden. Journalisten übersehen dabei leider allzu oft, dass sie Teil des Systems sind und damit auch einen Teil der Verantwortung aufgebürdet bekommen.
Im Kern krankt Österreich daran, dass kein parteipolitischer Konsens über eine schlüssige Reform-
agenda jenseits rhetorischer Lippenbekenntnisse möglich ist. Sicher, jeder ist für eine Bildungsreform und Verwaltungsreform - nur versteht jeder etwas anderes darunter. Natürlich sollen auch die Pensionen gesichert werden, nur über das Wie gehen die Ansichten auseinander. Und wie das Land sozial und wettbewerbsfähig zugleich gestaltet werden soll, darüber streiten die Parteien sowieso ohne Ende.
Mit dem Hinweis, dass Streit und weltanschauliche Differenzen zur Demokratie gehören, könnte man das Problem dialektisch zum Verschwinden bringen, nur steckt darin nur die halbe Wahrheit. Die Parteien in Österreich streiten zwar über die Sache, aber nur um der Wähler willen.
Spätestens seit den 90er Jahren haben SPÖ und ÖVP ihren einstigen Markenkern verloren - der FPÖ widerfuhr dies in den frühen 80ern, den Grünen erst vor kurzem. Eine neue Identität wusste sich nur die FPÖ zu schneidern, indem sie sich als Sammelbecken für Protestwähler neu erfand. Die beiden ehemaligen Großparteien schlingern jedoch hilflos auf dem Meer politischer Stimmungen dahin.
Das hat zweifellos viel mit den handelnden Politikern zu tun, aber nicht nur. Es geht auch um die Köpfe dahinter - die strategischen Berater, die Vor- und Nachdenker der Parteien. In einem klugen Essay in der Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit" wurde die Ernennung der politisch völlig unbedarften Gouverneurin von Alaska, Sarah Palin, als republikanische Vizepräsidentschaftskandidatin als Synonym für den Niedergang der konservativen Intellektuellen gewertet.
Nicht das Wohl des größeren Ganzen, des Gemeinwesens hätte bei dieser Personalrekrutierung den Ausschlag gegeben, sondern das Schielen auf die populistische Anfälligkeit der "kleinen Leute" im Herzen der USA. Das Interesse der Partei rangierte, so der Vorwurf, an erster Stelle. Dabei ging es wohlgemerkt nicht um irgendeinen repräsentativen, aber einflusslosen Job, sondern um den Stellvertreter des mächtigsten Mannes der Welt.
Es ist ein Trend dieser Tage, die Qualität des politischen Personals zu kritisieren. Nur: Mit einem Übermaß an Männern und Frauen, die fähig sind, harte Bretter mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich zu durchbohren, sind wir leider nicht gesegnet. Und die, sich dazu jetzt anschicken, müssen erst noch den Beweis dafür erbringen.