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Was soll die lautstarke Aggressivität in den Debatten?

Von Helga Kerschbaum

Gastkommentare
Helga Kerschbaum ist Mitglied der Initiative "Dialog.Empathie.Aktion". Sie war Richterin und für die NGO Committees on Peace der UNO tätig. Buchtipp: "Kultur des Wohlwollens" (Via Nova, 2004).
© privat

Ein bisschen mehr Zurückhaltung täte so manchem öffentlichen Diskurs ganz gut.


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Es liegt wirklich viel im Argen, wie der frühere Präsident des Verfassungsgerichtshofes, Ludwig Adamovich, jüngst im Interview mit der "Wiener Zeitung" meinte, und derzeit, so möchte ich hinzufügen, ganz besonders in der öffentlichen Debatte und im politischen Diskurs. Lautstarke Aggressivität ist derzeit in, Aufrufe wie "Empört Euch!" wirken in der Bevölkerung offensichtlich seit Jahren nach. Dabei mag ein mit Aggression vorgebrachtes Argument schlagkräftiger im Rededuell sein, es ist aber deswegen weder überzeugender noch der Sache dienlicher.

Nachzudenken wäre als Erstes über die Rolle der Opposition. Oft wird behauptet, ihre wesentliche Aufgabe sei, Kritik zu üben. Aber ist es wirklich die primäre Aufgabe der Opposition, unablässig in rüden Worten Kritik zu äußern, erschöpft sich ihre Aufgabe darin, Sand im Getriebe der Arbeit der Regierung zu sein? Ist das nicht eine sinnlose und damit unverantwortliche Energieverschwendung? Gerade jetzt in der Corona-Pandemie hat sich die Absurdität dieser schädlichen Vorgangsweise gezeigt.

Wäre es nicht besser, die Opposition trüge gute und vernünftige Maßnahmen einfach mit, auch wenn es solche der Regierung sind? Sie könnte auch konstruktiv selbst bessere Maßnahmen präsentieren. Dann hätten die Wähler wirklich eine Wahl zwischen zwei Herangehensweisen an ein Problem und nicht letztlich das flaue Gefühl, die Regierung macht es zwar nicht optimal, aber die Opposition weiß es konkret auch nicht besser. Wen darf dann das schwindende Vertrauen in die Politik verwundern?

Und die Rolle der Medien? Sie machen munter mit, beschert doch eine gewisse Aggressivität im Interview oder im Aufmacher hoffentlich ein höheres Interesse des Publikums und damit eine höhere Quote. Schon des Öfteren fiel negativ auf, dass der reißerische Titel durch den Inhalt des Beitrags nicht gedeckt war. Nähern wir uns da auf leisen Sohlen dem Vertrautwerden mit Fake News?

Für die Leser, Seher und Hörer wäre es interessant zu erfahren, warum eine Regelung der Regierung oder eine von der Opposition gewünschte Regelung von ihren Urhebern als gut und notwendig gesehen wird. Die derzeitige Berichterstattung informiert darüber nicht ausreichend, dafür umso genauer, warum diese Regelungen nicht gut sind, sehr oft, ohne Alternativen aufzuzeigen - und die Wähler bleiben ratlos zurück, warum man denn etwas verwirklichen will, gegen das offenbar viel spricht - mit dem unbefriedigenden Gefühl,
die Urheber der Regelung müssten sich doch auch etwas dabei gedacht haben. Bloß das erfährt man leider nicht oder nur ungenau - und kann sich daher kein richtiges Bild von der Lage machen. Mit der Konsequenz, dass wiederum Vertrauen in die Politik verloren geht.

Man darf annehmen, die meisten Menschen möchten in einer angenehmen Atmosphäre leben. In einer friedlichen und wohlwollenden Gesellschaft, die auf alle Menschen Rücksicht nimmt. Dann müssen wir das auch verwirklichen wollen, durch Respekt und Rücksichtnahme, durch Freundlichkeit und Wertschätzung im ganzen Leben, im privaten wie im gesellschaftlichen Bereich, auch und ganz besonders in den Medien und in der Politik.