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In der Debatte um Immunitätsnachweise gibt es zwei wesentliche Fragen, die noch nicht hinreichend beantwortet sind: jene nach einer Immunität und jene nach dem Nachweis.
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Deutschland wollte den Weg für einen Immunitätsausweis ebnen. Ein Gesetzesentwurf wurde bereits auf die Reise geschickt, nach medialer Kritik aber wieder gestrichen. Vorerst. In Österreich ist das Thema durch ein Interview von Antonella Mei-Pochtler in der "Financial Times" angekommen. Die Leiterin des "Think Austria" im Bundeskanzleramt erzählte, dass in der Regierung heftig darüber debattiert werde. Sie befürworte einen solchen Ausweis, auch wenn man keine Zwei-Klassen-Gesellschaft wolle.
Bei einem Immunitätsnachweis gibt es aber, neben ethischen Überlegungen, zwei fundamentale Unsicherheiten. Erstens, die Immunität, und zweitens, den Nachweis. Der Sars-CoV-2-Erreger ist nach wie vor ein weitgehend unbekannter Begleiter unseres Alltags. Mit Sicherheit weiß man, dass das Virus von den allermeisten Menschen ohne Therapeutikum erfolgreich bekämpft wird. Nur wenige erkranken schwer. Noch ist aber nicht klar, wie genau der menschliche Organismus das Virus erfolgreich bekämpft.
Dass Antikörper eine Rolle spielen, gilt als gesichert. Aber es ist wohl nicht die einzige Antwort. Es gibt einzelne Fallstudien von Infizierten mit nur milden Symptomen, die kaum Antikörper entwickelt haben. Es ist aber offensichtlich, dass ihr Körper das Virus erfolgreich bekämpft hat, sonst wären sie heftiger erkrankt. Das Virus kann durch den Körper nicht einfach durchrutschen. Es ist also anzunehmen, dass der menschliche Organismus verschiedene Waffen hat, um den viralen Eindringling zu bekämpfen. Nur haben nicht alle Menschen die gleichen Waffen zur Verfügung.
Nach Antikörpern zu suchen, ist dennoch sinnvoll. "Wer sie gebildet hat, muss eine Immunantwort gehabt haben", sagt der auf Antikörper spezialisierte Virologe Lukas Weseslindtner von der MedUni Wien. Antikörpertests sind daher zunächst einmal ein Nachweis für eine vergangene Infektion. Bei langen Krankheitsverläufen, wenn sich das Virus per Abstrich nicht mehr nachweisen lässt, kann ein serologischer Test auch im Akutfall zur Diagnose beitragen.
Aber zeigen die Antikörper auch Immunität an? Die Weltgesundheitsorganisation WHO warnte, dass es "im Moment keinen Nachweis" gebe, dass Menschen, die Antikörper aufweisen, vor einer zweiten Infektion geschützt sind. Bei der MedUni Wien bestätigt man auch Berichte, wonach mehrfach negativ getestete Genesene zu einem späteren Zeitpunkt wieder positiv waren. Flammte das Virus erneut auf? Oder handelt es sich um eine zweite Ansteckung? Wahrscheinlicher ist der erste Fall, auszuschließen sind Neuansteckungen bisher nicht.
Drosten geht von einem Schutz aus
Der auf Coronaviren spezialisierte deutsche Forscher Christian Drosten von der Berliner Charité geht auf Basis seiner Erfahrungen davon aus, dass nach einer Infektion ein Schutz besteht. Im Podcast des NDR sagte er aber auch: "Wir sehen bei ersten Patienten, die wir nachverfolgen, dass die Antikörper selbst schon nach zwei Monaten absinken." Für einen Immunitätsausweis wäre das relevant. Für wie lange soll eine Immunitätsbescheinigung gelten? Wie oft muss das überprüft werden?
Gesichert ist, dass beim Corona-OC43-Virus, das die meisten Menschen in Form einer Erkältung erlebt haben, die Immunität oft nur kurz anhält. Man kann in einem Winter mehrfach daran erkranken. Das OC43-Virus ist zwar verwandt, aber doch anders aufgebaut als der Sars-CoV-2-Erreger. Daher kann es sein, dass dieser einen längeren Schutz erzeugt. Aber werden ihn auch alle haben? Oder nur ein Teil?
Dazu braucht es auch noch mehr Wissen, wie der Körper mit dem Virus umgeht, welche Waffen er also einsetzt. Es gibt asymptomatisch Infizierte, die viel Viren ausscheiden. Es gibt ebenso nachweislich Erkrankte, die im eigenen Haushalt niemanden angesteckt haben. Das menschliche Immunsystem ist sehr komplex, und das Virus ist es offenbar auch.
Wie Weseslindtner erklärt, gibt es in der Medizin auch andere Möglichkeiten, eine Immunität anzuzeigen. Bei Tuberkulose wird mit einem sogenannten Quantiferon-Test die Reaktion der T-Zellen angesehen. Es ist möglich, dass für Sars-CoV-2 auch andere Verfahren zum Erkennen einer Immunantwort gefunden werden.
Keine binären Antworten zur Immunität
Ein Problem ist nämlich, dass Antikörper im Blut gebildet werden, das Virus dort aber nicht auftaucht (oder nur sehr selten). Das ist beim durch Zecken verursachten FSME-Virus anders. Durch die Impfung werden Antikörper gebildet, die nach dem Zeckenbiss direkt im Blut das Virus attackieren. Das führt zu einer sogenannten "sterilisierenden Immunität", also einem Komplettschutz.
Die Wissenschaft wird noch viel zu Immunität und deren Dauer lernen. Es ist aber gut möglich, dass es keine binären Antworten geben wird, also Schutz/Kein Schutz. Auch Drosten glaubt für Sars-CoV-2 eher an "Graubereiche". Wer wenige Antikörper aufweist, kann eventuell erneut erkranken, aber vielleicht nur sehr mild. Dieser Infizierte kann das Virus auch weitergeben, ist aber möglicherweise weniger infektiös. Das sind Ideen, denen derzeit auch in der MedUni Wien nachgegangen wird. Bis dahin gilt jedenfalls: Antikörpernachweis ist nicht gleich Immunität, zumal bei den Tests auch falsch positive Ergebnisse auftreten können.
Auch das ist ein Problem, solange nur Antikörpertests zur Verfügung stehen. Diese sind zwar besser geworden, reichen aber bisher nicht aus, um zweifelsfreie Ergebnisse zu liefern. Selbst wenn ein Beweis für eine Immunität erbracht werden kann, wären falsch positive Resultate ein großes Problem. Wem fälschlicherweise eine vergangene Erkrankung zugeschrieben wird, wähnt sich immun und erhält in Zukunft vielleicht auch einen Ausweis, der zum Reisen berechtigt. Zum Beispiel zum Skifahren im nächsten Winter?