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Was vom Papstbesuch bleibt

Von Heiner Boberski

Politik

Wiener Kardinal fordert flankierende Maßnahmen zur Fristenregelung. | In 30 Jahren sei Unrechtsbewusstsein verloren gegangen. | Wien. Papst Benedikt XVI. ist wieder im Vatikan und hat Österreich von dort aus nochmals für die herzliche Aufnahme gedankt und seinen Apostolischen Segen erteilt. Papstbesuch-Pressechef Paul Wuthe spricht von mindestens 110.000 Personen, die an den verschiedenen Veranstaltungen in Wien, Mariazell oder Heiligenkreuz teilgenommen haben. Der ORF freut sich über 2,8 Millionen Zuseher und Marktanteile zwischen 29 und 53 Prozent während der TV-Übertragungen.


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Was von diesem Papstbesuch bleibt, ist freilich nicht statistisch erfassbar: Wenn er Veränderungen gelöst hat, dann vor allem "in den Herzen der Menschen", wie der Wiener Erzbischof, Kardinal Christoph Schönborn, schon vor der Reise angedeutet hatte - bei jenen, die nicht auf Äußerlichkeiten achteten, sondern dem Papst gut zuhörten und diesen 80-jährige Mann als einen erlebten, der so viel Substanzielles zur aktuellen Situation der Welt zu sagen hat wie kaum ein anderer. Viele seiner prägnanten Sätze sind des Nachdenkens wert, etwa seine Aussage in Mariazell: "Resignation der Wahrheit gegenüber ist meiner Überzeugung nach der Kern der Krise des Westens, Europas."

Freilich, so sorgfältig konnte der Gast aus Rom gar nicht formulieren, dass er nicht - wie im Vorjahr in Regensburg - auch Missverständnisse auslöste. Nicht mit religiösen Geboten, sondern mit Humanität und dem grundlegenden Menschenrecht auf Leben argumentierte er in der Wiener Hofburg - ebenso wie gegen die Euthanasie - gegen die "tiefe soziale Wunde" Abtreibung.

Nicht von Strafe sprach er, sondern von Unrechtsbewusstsein. Genau dieses Unrechtsbewusstsein sei aber, wie Kardinal Schönborn in der ORF-Sendung "Im Zentrum" feststellte, in Österreich seit Einführung der Fristenregelung im Jahr 1975 (sie stellt die an sich unerlaubte Abtreibung in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten straffrei) geschwunden.

Kirchlicher Hilfsfonds

Weder die Kirche noch die Politiker in Österreich wünschen sich eine Diskussion über das Thema Fristenregelung, doch die Kirche kann sich nicht - und nach den Aussagen des Papstes schon gar nicht - mit der derzeitigen Situation abfinden. Ihre Haltung dazu ist, so Schönborn, klar: "Abtreibung ist Tötung, und Tötung ist immer ein Unrecht." Kern des Problems ist offenbar, wie man ohne Strafandrohung vermitteln kann, was ein Recht und was ein Unrecht ist.

Kardinal Schönborn nimmt jedenfalls die aufgeflammte Debatte zum Anlass, daran zu erinnern, dass bei der Einführung der Fristenregelung auch "flankierende Maßnahmen" angekündigt wurden, die niemals erfolgten, weshalb die österreichische Rechtslage in dieser Frage besonders liberal ist. Die einzige Bedingung für eine straffreie Abtreibung ist, dass die Drei-Monate-Frist eingehalten wird. Als flankierende Maßnahmen, die Schönborn nun erneut von der Politik verlangt, waren seinerzeit im Gespräch:

die Verpflichtung, sich vor einer Abtreibung durch eine vom abtreibenden Arzt unabhängige Instanz beraten zu lassen, wie das in Deutschland üblich ist;

das Anlegen anonymer Statistiken, um Zahl und Motive von Abtreibungen zu erfassen;

verstärkte materielle und psychologische Hilfe für Frauen in Notsituationen.

Schönborn wies darauf hin, dass die Kirche durch den von Kardinal Franz König gegründeten "Hilfsfonds für Schwangere in Notsituationen" in den vergangenen Jahrzehnten zu helfen versucht und so 8000 Geburten ermöglicht habe, die Politik hingegen nicht: "Warum hat noch keine Regierung die Mittel dieses Hilfsfonds verdoppelt?"

Neben seinen Aussagen zur Abtreibung werden wohl auch Benedikts Worte im Wiener Stephansdom über den freien Sonntag Nachwirkungen haben. Dabei darf man seine Mahnung nicht überlesen, wie die "freie Zeit" ohne "Orientierung fürs Ganze" zur "leeren Zeit" werden kann, wie "rastlose Gier nach Leben" in der "Öde des verlorenen Lebens" endet.

Positive Reaktionen

Nur drei weitere Beispiele dafür, was dieser Besuch an Spuren hinterließ: War für die Historikerin Erika Weinzierl das schlichte Shoah-Gedenken auf dem Wiener Judenplatz für das Verhältnis von Judentum und Christentum wahrscheinlich "das Positivste" im bisherigen Pontifikat Benedikts XVI., so empfand der Wiener Caritas-Direktor Michael Landau die Begegnung des Papstes im Wiener Konzerthaus als "äußerst ermutigend" und als "klares Signal in Richtung Jugend". Und "glücklich, erfüllt und vollkommen fassungslos", zieht nach dem Papst-Besuch in seinem Stift der Heiligenkreuzer Abt Gregor Henckel-Donnersmarck Bilanz: "Wir haben eine Botschaft, die wir umsetzen müssen."

Natürlich konnte und wollte Benedikt XVI. in Österreich nicht zu allem Stellung nehmen, insbesondere kircheninterne Kritiker vermissten Signale oder in ihren Augen zukunftsorientierte Aussagen, etwa zur Rolle der Frauen oder zur Seelsorge bei schwindenden Priesterzahlen. Helmut Schüller, Mitinitiator der Pfarrerinitiative, sieht das nicht nur negativ: Wenn Benedikt viele Themen nicht angesprochen habe, so eröffne eine solche "Nichtfestlegung" doch einen Spielraum für die Ortskirchen. Ob Schüller mit dieser Hoffnung richtig liegt, wird die Zukunft weisen.