Würde alles schneller, synchroner und dramatischer ablaufen - und würde es auch schneller verarbeitet? Ein Gedankenexperiment.
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11. September 2001: Flugzeuge stürzen in die beiden Türme des World Trade Centers, tausende Menschen sterben, die Bilder des Terrorangriffs beherrschen rund um die Uhr die Medien. Es ist die Zeit der Live-Sondersendungen im TV. Das Internet tritt gerade erst seinen Siegeszug an, aber an die heute allgegenwärtige, mobile Online-Kommunikation und Video-Streaming ist noch nicht zu denken. Die Sozialen Medien wurden erst in den Jahren danach geboren.
Was wäre anders, wenn das Ereignis 9/11 anstatt 2001 heute stattfinden würde? Der physische Schaden wäre heute wohl der gleiche, wenngleich die Opferzahlen unter anderem durch kürzere Alarmierungswege möglicherweise etwas geringer wären. Drei Phänomene sind hier in der Kommunikation festzuhalten, die sich verändert hätten:
Erstens ist jede und jeder heute Sender und Empfänger. Medienunternehmen sind keine "Schleusenwärter" der Information mehr. Das führt einerseits zu mehr Transparenz und zielführender Kritik, andererseits aber auch zu mehr Verwirrung und Desinformation aus zweifelhaften Quellen. Als prüfende Vertrauensinstanzen und Orientierungsgeber sind Medien weiterhin gefragt, vor allem jene, die sich hier bereits in der Vergangenheit profiliert haben.
Zweitens wäre die Schockwirkung dadurch vor allem zu Beginn noch intensiver - 2001 dauerte es fünf Stunden, bis die Bevölkerung in Deutschland fast vollständig informiert war. Heute wären es keine fünf Minuten, bis die Mehrheit Bescheid wüsste.
Drittens passiert die Kommunikation heute nicht nur schnell und direkt, sondern auch unkontrolliert. Spekulationen, Verschwörungstheorien und Fake News wären in enorm beschleunigter Form Tür und Tor geöffnet. Sie würden vor allem dort fruchten, wo es bereits gesellschaftliche Spaltungen und extreme Tendenzen gibt - siehe Covid-19.
Gerade den Tätern böten heute die Sozialen Medien breite Möglichkeiten, ihre Tat auch medial zu inszenieren. Das könnte einerseits die Täterausforschung beschleunigen, andererseits aber auch Hass auf allen Seiten schneller schüren. Auch ein paralleler Cyberangriff wäre denkbar, der für zusätzlichen Tumult sorgen würde. Unmittelbare Folgeanschläge durch Nachahmer, aber auch größere Unruhen wären mögliche unmittelbare Konsequenzen. Die direkten Opfer wären heute allgegenwärtig und global bekannt - in Bild, Ton, Bewegtbild, teils sogar live, etwa aus den Türmen. Die Retter wären noch effektiver, stünden aber auch unter noch größerem Druck der Öffentlichkeit. Die Weltbevölkerung, 2001 nur Zaungast, würde 2021 zum integralen Bestandteil des Ereignisses: Aktuelle Spaltungen in den Gesellschaften würden noch transparenter, die Emotionen noch stärker zirkulieren, die Gräben noch tiefer. Schließlich könnte der "Krieg gegen den Terror" als zielgerichteter Gegenangriff stattfinden - unter anderem mit Drohnen- und Cyber-Angriffen sowie der umfassenden politischen und wirtschaftlichen Isolation der Unterstützer.