Die Türkei spielt dieser Tage ein riskantes Spiel. Ob sie dabei eine klare langfristige Strategie verfolgt oder aber einfach nur ihren Einfluss in der islamischen Welt auf die Probe stellen will, kann zum heutigen Tag niemand verlässlich sagen. Zu befürchten ist allerdings Planlosigkeit.
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Das große Land sucht unter seinem islamischen Premierminister Recep Tayyip Erdogan nach seiner künftigen Rolle - in seinem Verhältnis zu Europa, zu seiner Nachbarschaft vom Schwarzen Meer über den Kaukasus bis nach Zentralasien, zur islamischen Welt. Es tut dies nicht ruhig und bedächtig, sondern kaum berechenbar und ruckartig. Will die Türkei ein Mittler sein zwischen Ost und West, zwischen Islam und postmodernem Säkularismus? Will sie eine regionale Groß- und Ordnungsmacht sein? Versteht sie sich gar als neuer Wortführer der islamischen Welt?
Als ehrlicher Makler im Nahost-Konflikt hat sich Ankara wohl fürs Erste selbst aus dem Spiel genommen. Die strategische Partnerschaft der Türkei mit Israel hat schweren Schaden genommen: Erdogan hätte wissen müssen, wie Israels Regierung beim Versuch, die Blockade von Gaza zu brechen, reagieren würde. Entweder es war ihm egal oder er schätzte die ganze Situation völlig falsch ein. Beides ist hochgradig beunruhigend und lässt auch die Frage einer möglichen EU-Mitgliedschaft nicht unberührt.
Die Jubelchöre, die Erdogan nun in der islamischen Welt entgegenschallen, entwickeln ebenfalls ihre eigene Dynamik: Schon will der Iran, dessen Präsident regelmäßig zur Vernichtung Israels aufruft, nicht hintanstehen und entsendet eine eigene Schiffsmission gen Gaza. Ein gefährlicher Wettlauf um die Stimmen und Stimmungen der großteils in Armut und politischer Unterdrückung lebenden Massen der islamischen Welt hat schon begonnen.
Wie wird Israel auf diese zunehmende Eskalation reagieren? In der veröffentlichten Weltmeinung sitzt das Land angesichts des Leids der Palästinenser auf der Anklagebank, doch internationalem Druck hat sich noch keine israelische Regierung gebeugt, für sie steht die physische Sicherheit ihrer Bürger im Mittelpunkt. So viele Fragen, aber weit und breit keine Antworten.