Sebastian Kurz dürfte ÖVP-Parteiobmann werden und schnell in Neuwahlen gehen. Er ist populär, innerparteilich gewünscht, aber welche Politik wäre zu erwarten? Und kann er die schwierigen Interessenskonflikte in der ÖVP moderieren?
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Der rote, oder vermutlich müsste man sagen: der schwarze Teppich ist ausgerollt. Die Landeshauptleute haben sich für Sebastian Kurz als neuen Parteichef ausgesprochen, er wird beim Vorstand am Sonntag wohl designiert. Das kommt natürlich nicht überraschend, zumal der am Mittwoch zurückgetretene Reinhold Mitterlehner in seiner Amtszeit wohl nur wenige Fragen öfter gestellt bekommen hatte, als wann denn Kurz ihm nachfolgen werde.
Dass der JVP-Chef eigene Wege geht, ähnlich wie in Frankreich Emmanuel Macron, sich also von der ÖVP löst und mit einer eigenen Liste in Wahlen geht, wie das in den vergangenen Tagen mitunter spekuliert wurde, kann man ausschließen. Es sind theoretische Gedankenspiele, doch allein deren Existenz offenbaren, dass die ÖVP ihre Struktur und Statuten überarbeiten muss. Auch Mitterlehner hat in seiner Abschiedsrede von strukturellen Hindernissen gesprochen und auf die Tatsache verwiesen, dass er in zehn Jahren bereits der vierte Obmann der Volkspartei gewesen sei. "Es könnte auch ein strukturelles Problem sein oder auch die Notwendigkeit, unser Erscheinungsbild zu überdenken", so Mitterlehner.
Dass sich die ÖVP in dieser Hinsicht nicht von heute auf morgen revolutionieren wird, ist klar, aber bis zum Wochenende muss ein für Kurz akzeptabler Modus operandi gefunden werden. Die Bünde signalisieren dazu jedenfalls Bereitschaft. "Der Parteiobmann muss eine Möglichkeit haben, in der Partei zu agieren", sagt etwa August Wöginger, Obmann des ÖAAB. Ingrid Korosec, Chefin des Seniorenbunds, ergänzt: "Dass sich die ÖVP verändern muss, ist keine Frage. Die Bündestruktur wird sich aber nicht ändern." Sie kann sich ein Durchgriffsrecht für den Bundesparteiobmann vorstellen, wie sie sagt. Das heißt allerdings noch nicht viel. "Das kriegen alle immer, hat aber nicht gewirkt", sagt Werner Zögernitz, früherer ÖVP-Klubdirektor und jetzt Leiter des Instituts für Parlamentarismus und Demokratiefragen.
Inhaltliche Ausrichtung
Bei Kurz als Parteiobmann stellen sich für die weitere Zukunft der Volkspartei zwei grundsätzliche Fragen. Die erste ist eine Inhaltliche: Wofür steht Kurz? Was will er politisch? Als Integrations- und Außenminister hat er sich in diesen Bereichen zwar ein klares Profil zugelegt, allerdings ist auch dieses nicht ohne Widersprüche und Neuadjustierungen.
So hat Kurz etwa noch als Staatssekretär für Integration den Begriff der Willkommenskultur quasi erfunden, mittlerweile verwendet er den Begriff als negative Zuschreibung für jene, die eine sehr aktive Asylpolitik fordern. Als Parteichef und Spitzenkandidat muss Kurz aber natürlich ein umfassendes politisches Programm ausrollen: Bildung, Arbeitsmarkt, Wirtschaft, Steuerpolitik, Umwelt, Gesundheit, regionale Entwicklung und so weiter.
Die JVP, deren Chef Kurz nach wie vor ist, hat zwar Positionen zu all diesen Bereichen entwickelt, allerdings sind diese großteils eher allgemein gehalten. Die Forderung nach flexibleren Arbeitszeiten deckt sich mit der bisherigen ÖVP-Linie, auch jene nach einer Reduktion der Ausgaben. Im Gesundheitsbereich werden Reformen für notwendig erachtet, um sich den "demografischen Herausforderungen" zu stellen. Doch es bleibt vage, wie und welche.
Mehr Gegenwart als Zukunft
Ein Punkt, den die JVP unter Kurz entwickelt hat, stellt aber doch eine ziemlich radikale Forderung dar, nämlich jene nach direkter Demokratie und einem Persönlichkeitswahlrecht. Die Listenerstellung vor Wahlen soll auch parteiintern nach Vorzugsstimmen vergeben werden, fordert die Jugendorganisation. Am Parteitag im Mai 2015 stellte die JVP auch einen Antrag für ein Mehrheitswahlrecht, der knapp aber doch abgelehnt wurde. Kurioserweise wäre das aber ein Thema, bei dem Kurz eine Übereinstimmung mit seinem präsumptiven Kontrahenten, Kanzler Christian Kern, findet, der im Plan A ebenfalls ein mehrheitsförderndes Wahlrecht gefordert hat.
Der Kanzlerplan ist ein umfassendes Zukunftskonzept, er ist aber nicht Parteiprogramm der SPÖ. Zumindest noch nicht. Kurz war bisher natürlich nicht in der Situation, eine ähnliche Programmatik entwickeln zu müssen, allerdings deutet sein bisheriges Wirken in der Regierung auf einen etwas anderen Politik-Zugang, vereinfacht gesagt: mehr Gegenwart als Zukunft.
Als Integrationsstaatssekretär hat er aktuelle Problemfelder analysiert und Lösungsansätze präsentiert, auch unter Einbeziehung einer Expertengruppe. Damals lobten viele, auch heutige Widersacher, das jüngste Regierungsmitglied, weil er in dem heiklen Themenbereich zu einer Versachlichung beigetragen habe.
Außen- und europapolitisch hat sich Kurz vor allem in der Flüchtlingskrise profiliert, es hat sein öffentliches Bild maßgeblich geprägt. Die Beliebtheitswerte, die bereits vorher hoch waren, sind noch einmal gestiegen, andererseits ist aber auch die Kritik an seiner Person gewachsen, seither polarisiert er viel stärker als davor. Im Februar hat Kurz nun seine Ideen für eine Reform der EU präsentiert. Also doch Lust an langfristiger Programmatik? Oder eher sachliche Lösungsvorschläge für gegenwärtige Probleme wie in seinem bisherigen Wirken? Die Grenzen sind natürlich fließend.
Parteiinterne Moderation
Die zweite wesentliche Frage, neben der möglichen inhaltlichen Ausrichtung einer ÖVP unter Sebastian Kurz, bezieht sich auf seine Fähigkeit, innerparteilich zu moderieren. Die Volkspartei ist durch ihre gewachsene bündnische Struktur sowie noch einmal unterschiedliche Interessen der Länderorganisationen grundsätzlich sehr kompliziert. Das Kurz zugeschriebene politische Talent wird auch in dieser Hinsicht auf die Probe gestellt werden, Durchgriffsrecht hin oder her.
Erfahrungen als Obmann hat Kurz jedenfalls innerhalb der JVP gesammelt, deren Chef er seit 2009 ist. Die Nachwuchsschmiede der ÖVP hatte sich damals nicht gerade geeint präsentiert. Zwei Jahre zuvor wurde die damalige Obfrau Silvia Fuhrmann nur mit knapp mehr als 50 Prozent in ihrer Funktion bestätigt, obwohl es keinen Gegenkandidaten gab. Sie übergab dann das Amt an Kurz, der die zerstrittene JVP einte.
Im Wiener Wahlkampf 2010 war Kurz dann im nun schon legendären "Geilomobil" unterwegs, um Stimmen zu sammeln. Er erhielt Aufmerksamkeit, aber auch Gegenwind – und zwar explizit auch aus der eigenen Partei. Er zog die Kampagne aber durch.
In der Retrospektive kann man dies vielleicht als Indiz für Durchsetzungskraft oder Sturheit werten, je nach Gusto. Doch was offenkundig bei potenziellen Wählerinnen und Wählern geschätzt wird – klassisches Leadership eben – kann innerparteilich auch zu Konflikten führen. Das wird wohl die große Herausforderung für Kurz werden, sollte er am Sonntag tatsächlich zum 17. Obmann der Volkspartei designiert werden.