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Was wir von unseren Kindern lernen sollten

Von Susanna Reiskopf

Gastkommentare
Susanna Reiskopf ist Hortpädagogin in Wien und Mitglied der Initiative Teilnehmende Medienbeobachtung (www.univie.ac.at/tmb).

Integration ist ein Schlagwort, das von Erwachsenen gern gepredigt wird. Gelebt wird es aber vor allem von den Kindern, und zwar teils unbewusst.


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Schauplatz Nachmittagsbetreuung. "Herzlich willkommen" steht in vielen Sprachen an der Tür. Hier treffen Volksschulkinder mit unterschiedlicher Muttersprache und Herkunft zusammen. Konfliktsituationen gibt es im Kinderalltag ständig: A. nimmt S. den Radiergummi weg, B. versteckt die Turnschuhe von L., K. stört bei der Hausübung, G. beschimpft andere ohne ersichtlichen Grund, E. kritzelt ins Heft des Sitznachbarn, D. tritt F. absichtlich auf die Zehen . . . Wenn mehrere Kinder aufeinandertreffen, sind solche Probleme normaler Alltag. Grenzen werden ausgetestet, Freundschaften gebildet und auch wieder aufgelöst - Stillstand herrscht hier nie. Betrachtet man die alltäglichen Konfliktsituationen aber genauer, wird klar, dass keine davon auf Ethnizität, Nationalität, Kultur, Religion oder Sprache basiert. Kinder kritisieren die Taten an sich, kommen dabei nicht auf die absurde Idee, diese etwa auf die Herkunft des Anderen zurückzuführen. Im Erwerb einer neuen Sprache sind Kinder außerdem sehr schnell, Sprachbarrieren gibt es daher kaum. Eine interkulturelle Gruppenzusammensetzung wird weniger von den Kindern als von deren Eltern oder Pädagogen problematisch gesehen. Eigentlich sollte sie aber als Chance statt als Problem wahrgenommen werden. Viele Kinder wachsen bereits mehrsprachig auf und lernen früh verschiedene Kulturen kennen. Gerade in einer Zeit, in der die Wirtschaft immer globaler wird und nationale Grenzen überschreitet, bringen Kinder mit migrantischem Hintergrund wertvolle Kompetenzen mit, die gefördert werden sollten. Oft ist es nur eine Frage des Bewusstmachens: Spricht jemand zum Beispiel fließend Französisch, gibt es von der Allgemeinheit Bewunderung, bei fließendem Türkisch hingegen ist das Interesse weniger groß. Die Wertigkeit von Sprachkenntnissen wird völlig zu Unrecht unterschiedlich positioniert, basierend auf Erfahrungen mit der ersten Generation der Gastarbeiter, die meist für Hilfsjobs beziehungsweise Fabrikarbeiten angeworben wurden. Das Image des niedrigen Bildungsstandes wird ohne gerechtfertigte Begründung auf nachkommende Generationen übertragen. Hinzu kommen einseitige Beiträge in den Medien über Integrationsunwilligkeit, Bildungsmissstände, fixe Geschlechterrollenbilder oder mangelnde Deutschkenntnisse, die das soziale Gefälle weiter stützen.

Diese Beobachtungen lassen nun zweierlei Schlussfolgerungen zu: Einerseits basieren momentane Probleme auf Ängsten und Unsicherheiten der Erwachsenen und sind somit konstruiert. Andererseits besteht die Hoffnung, dass in künftigen Generationen Diversität endlich zur Normalität wird - denn nichts anderes als das ist sie.

Die Anerkennung der eigenen Vorbildfunktion ist dabei von hoher Bedeutung. Pädagogen können beispielsweise mit den Kindern Unterschiede und Gemeinsamkeiten herausarbeiten und diese auch für die Eltern transparent machen. Wir leben alle in derselben Stadt, besuchen dieselbe Schule, sind etwa gleich alt, trotzdem sind wir in unserem Charakter unterschiedlich - auch innerhalb derselben Herkunft oder Religionszugehörigkeit.