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Washington gibt sich ungeduldig

Von Markus Rapp

Politik

New York - Auch am Mittwoch schien sich im UNO-Sicherheitsrat noch keine Zustimmung der Vetomächte zum neuen US-Entwurf für eine Irak-Resolution abzuzeichnen. Gleichzeitig wurden in Washington wieder Stimmen laut, die die Rolle der UNO in Frage stellten.


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Frankreich, Russland und China ließen am Mittwoch der am Dienstag angedeuteten Unzufriedenheit und Enttäuschung offizielle, wenn auch mehrdeutige Begründungen folgen. Der russische Außenminister Igor Iwanow kritisierte in Moskau, der neue Entwurf der USA erfülle nicht die von Russland für wesentlich gehaltenen Anforderungen. Michail Bogdanow, Direktor des russischen Außenministeriums für Nahost und Afrika, sagte hingegen gegenüber der Nachrichtenagentur ITAR-TASS: "Der Entwurf hat die Elemente des automatischen Gewalteinsatzes praktisch ausgelassen." Es gebe allerdings noch Probleme mit anderen Punkten, die kaum von den Irakern akzeptiert werden könnten und außerdem früheren UNO-Resolutionen widersprächen.

Die französische Regierung meldete weiteren Diskussionsbedarf an. "Es gibt noch viel Arbeit", sagte Außenminister Dominique de Villepin in Luxemburg. Ein ranghoher chinesischer Diplomat bei den Vereinten Nationen beklagte, es gebe zwischen dem alten und dem neuen Entwurf der USA keine substanziellen Unterschiede. Umstritten sind nach wie vor jene Formulierungen, die als Androhung militärischer Gewalt gegen den Irak interpretiert werden können. Wo in einem ersten Entwurf die Rede von "allen notwendigen Maßnahmen" gewesen war, droht der neue US-Vorschlag "ernsthafte Konsequenzen" an.

Daneben fehlt, wie berichtet, nach wie vor die Bezugnahme auf ein UNO-Mandat zum Losschlagen. Washington will nicht extra nochmals den Sicherheitsrat um Erlaubnis fragen müssen, wenn Irak die Waffeninspektionen wieder blockiert - und genau daran stoßen sich Russen, Franzosen und Chinesen seit Mitte September, als sich US-Präsident George W. Bush entschloss, die Irak-Agenda vor die UNO zu bringen. Den Vorwurf des Unilateralismus hatte er damit abschmettern können. Und nun ist das, was Washington jeweils als großartiges Entgegenkommen angekündigt hatte, bei den Vetomächten schon zum zweiten Mal auf Ablehnung gestoßen. Bushs Sprecher Ari Fleischer sagte gestern, die Sache müsse zu einem Abschluss kommen, "die Vereinten Nationen haben nicht ewig Zeit". Verteidigungsminister Donald Rumsfeld meinte eher wegwerfend, er wisse nicht, "ob überhaupt irgendwann über irgendeine Resolution abgestimmt wird".

Zumindest dem Tonfall nach erscheint damit Washingtons Rekurs an die UNO als Farce - so man denn die verschärfte Rhetorik nicht mit den bevorstehenden Midterm-Wahlen in Verbindung bringen will. Rechnet man zudem die maximalen Fristen, die dem Irak und den Inspektionen laut aktueller Fassung eingeräumt werden, zusammen, so kommt man auf knapp fünf Monate; US-Militärs haben jedoch nie - vielleicht mit voller Absicht, zu verwirren und zu desinformieren - ein Hehl daraus gemacht, dass sie einen Krieg im Winter favorisieren. Die Tatsache, dass um den März 2003 herum abermals, wie von Frankreich vorgesehen, um eine Resolution gerungen werden müsste, würde den Kriegsbeginn vermutlich weiter verzögern. Doch der "New York Times" gegenüber äußerten sich hohe Pentagon-Beamte wegen dieses Verzugs nicht allzu besorgt.

Aufmarsch und Manöver

Hans Blix, der Chef der UN-Rüstungskontrollore, sagte in Moskau, es werde wohl noch einige Tage dauern, bis eine Entschließung zustande komme. Der US-Aufmarsch im Golf geht unterdessen zügig weiter. Auf mehreren Truppenübungsplätzen trainieren amerikanische Soldaten inzwischen auch den Häuserkampf, in Kuwait ist ein Manöver angelaufen, das einen Militäreinsatz unter Beschuss durch atomare, bakteriologische und chemische Waffen simuliert. Auch die "Füchse", die ABC-Spürpanzer der deutschen Bundeswehr, nehmen, entgegen dem früheren Willen der Grünen, daran teil. Ein Verbleib der "Füchse" in Kuwait für den Kriegsfall ist zugesagt.

Apropos Deutschland: Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", die Kanzler Gerhard Schröder bereits im Wahlkampf die Frage gestellt hatte, ob er den USA im Falle eines Irak-Kriegs denn ernsthaft die Nutzung amerikanischer Militärbasen in Deutschland verweigern und Überflüge versagen wolle, kam gestern mit einer "Liste" von Forderungen heraus, mit denen Washington Berlin eine "zweite Chance" gebe. Neben dem Wunsch nach mehr Engagement für die geplante NATO-Eingreiftruppe und nach deutscher Unterstützung für einen türkischen EU-Beitritt fordern die USA, so die "FAZ", vor allem, Deutschland möge im Kriegsfall die NATO nicht blockieren. Die frisch angelobte deutsche Bundesregierung wies den Zeitungsbericht, der der Häme nicht entbehrt, umgehend zurück.

Bush will demnach den NATO-Gipfel vom 21. bis 22. November in Prag, der sich ursprünglich mit der Erweiterung des Bündnisses befassen sollte, ganz der Irak-Agenda unterordnen. NATO-Infrastruktur dürfte beim Waffengang nach Bagdad eine entscheidende Rolle spielen. Zunächst wird es aber darauf ankommen, wie die Wahlen in der Türkei ausgehen und wie schnell die neue Regierung in Ankara auf Linie gebracht werden kann. Die "Süddeutsche Zeitung" erinnerte daran, dass Washington den Feldzug wohl kaum während des islamischen Fastenmonats Ramadan, der am 6. November beginnt, starten würde.

Bagdad soll isoliert und, falls notwendig, Straßenzug um Straßenzug erobert werden; wie es indes nachher im Irak aussehen soll, ist nach wie vor Gegenstand heftigster Spekulationen. Festzustehen scheint, dass es mit Oppositionsgruppen zu keiner Einigung gekommen ist; im nordirakischen Kurdengebiet haben die beiden größten Parteien, die Patriotische Union Kurdistans (PUK) und die Demokratische Partei Kurdistans (KDP), bis vor kurzem noch um die Vormacht gestritten, im Hinblick auf Drohungen seitens der Türkei waren sie zuletzt jedoch um Einheit bemüht. Ein äußerst unberechenbares Element bleibt die taliban-ähnliche Gruppe Ansar el Islam, die im Sommer mit Giftgasversuchen an Hunden und Menschen die Aufmerksamkeit nicht nur der Geheimdienste erregte. Sie kontrolliert ein kleines Berggebiet an der Grenze zum Iran, kämpft gegen die anderen Kurden und soll El-Kaida-Terroristen Unterschlupf gewähren.