Früher stillte Wasser einfach den Durst. Heute kommt es in Designerflaschen daher, reist um den halben Erball, gilt als Statussymbol und ist Teil | unseres Lebensstils geworden. Warum eigentlich?
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Der Meinl am Graben hat unweit des Eingangs eine hübsche Regalwand dafür reserviert und bietet es aus vulkanischen Quellen in Japan oder den Tiefen Südnorwegens; das Restaurant Shambala im Wiener Hotel Meridien offeriert es seinen betuchten Gästen auf einer eigenen Karte samt entsprechender Beratung: Wasser.
Das lebenswichtige Naturprodukt wurde einst kanalisiert, dann mystifiziert, später privatisiert. Doch noch nie war der Umgang mit dem teuren Gut so irrational wie heute. Wasser stillt nicht mehr einfach nur den Durst, heute ist es in der westlichen Welt zum Statussymbol aufgestiegen. Als Kultgetränk gehört es zum Lebensstil und hat sich durch geschicktes Marketing nicht nur die Tische der Reichen und Schönen erobert. Selbst hierzulande wird Mineralwasser um Literpreise von sechs Euro und mehr aus dem Supermarkt nach Hause getragen, anstatt einfach den Wasserhahn aufzudrehen. "Früher", kommentiert Udo Pollmer, Chef des Europäischen Instituts für Ernährungswissenschaften, diese Entwicklung, "nahm man ein Buch mit, um den Wissensdurst zu stillen. Heute füllt man sich den Kopf mit Wasser".
Wir wissen: Kein Nahrungsmittel ist so wichtig wie Wasser. Es ist reinste Natur und ein Lebenselixier. Doch: Kein Nahrungsmittel ist zugleich so profitabel. Wasser ist ein Geschäft und wer dafür eine Nase hat, verdient gut. Kein Wunder, dass sich die großen Nahrungsmultis um die Marktanteile raufen. Die Studien eines deutschen Mediziners, der jahrelang einen Volksstamm in Neu Guinea beobachtete, dessen Mitglieder maximal einen halben Liter pro Tag trinken und damit maximal versorgt sind, versickern ungehört. Sogenannte Ernährungspäpste predigen nach wie vor, viel zu trinken, mindestens zwei, besser 2,5 Liter am Tag. Und eine gläubige Gemeinde befolgt das. So hat sich der Pro-Kopf-Verbrauch von Wasser aus Flaschen seit 1970 verzehnfacht und ist weltweit von einer Milliarde auf 126 Milliarden Liter angestiegen. Warum nur? Dafür gibt es eine Vielzahl von Gründen. Und die wenigsten haben etwas mit dem Verstand zu tun, eher mit Träumen und Gefühlen.
Heute präsentieren sich Edelwässer in Designerflaschen, zählt das Marketing und das Image einer Marke oft mehr als die reine Qualität des Inhalts. Seine eigentliche Funktion als Lebensmittel ist unspannend, daher wird es in erster Linie wegen einer extravaganten Verpackung, seiner exotischen Herkunft oder spezieller Eigenschaften gekauft. Die meisten der Modewässer sind um den halben Erdball gereist, ihre Ökobilanz ist miserabel, aber sie bringen den Glamour der großen Welt ins Glas: japanisches Quellwasser, norwegisches Gletscherwasser, tasmanisches Regenwasser, esoterische Vollmond-Abfüllungen für den harmonisierenden Schwingungsausgleich, billiges Tafelwasser in absurd teuren Designer-Flakons, teures Südsee-Vulkangesteins-Wasser in billigen Plastikflaschen (mit Kieselsäure zur Stärkung von Bindegewebe und Knochenaufbau), Brunnenwasser aus Tennessee, vor Ort um rund 10 Dollar für einen 12-Liter-Kasten zu haben, als "Bling" in einem mit modischen Swarovsky-Steinen verzierten Fläschchen im Restaurant um mehr als 80 Euro verkauft, ebenso das aus Japan eingeflogenen "Rokko No", die Flasche um rund 124 Euro.
Wir kapieren zwar, dass wir einer klug erdachten Marketingstrategie erliegen, aber der Instinkt reagiert anders. In unseren Regionen herrscht kein Mangel an Wasser, also ist es wahrscheinlich gar nicht der Durst, der uns zum Wasser zieht, sondern der Mythos. Kulturphilosophen meinen, das Wasser-Trinken habe mittlerweile in den westlichen Ländern einen philosophischen, fast religiösen Stellenwert. Wasser wird interessant, wenn es einen gewissen Zusatznutzen verspricht, sei er gesellschaftlicher, gesundheitsfördernder oder spiritueller Natur. Und der kann eben nicht aus dem Wasserhahn kommen. Den Kult ums Wasser speist wahrscheinlich auch eine Sehnsucht nach dem Ursprünglichen, wie zum Beispiel beim Fidji-Wasser. Die Südsee ist ein Sehnsuchtstraum, die Fidji-Inseln sind für viele ein Symbol für das Unberührbare, für nichts als pure Landschaft. Dass es auf Fidji auch Supermärkte oder McDonalds gibt, stört nicht - weiß ja keiner. Es ist einfach der Traum vom Ursprünglichen, Wahren. Das klare Nass wird zum Symbol für die Kultivierung des Einfachen.
Auch der dynamische Business-Adel, mit strengem Stundenplan zu Leistung angehalten, übt sich in Pseudo-Mäßigung. Für die ferngesteuerten Blackberry-Klone hat Gesundheit nichts mit persönlicher Lebensqualität zu tun, nur mit Effizienz. Man trinkt Wasser, erklärt es kurzerhand zum Genussmittel und nennt es dann Gourmet-Wasser. Da aber auch in diesen Kreisen weiterhin Alkohol getrunken wird, wählt man nicht nur den passenden Wein zum Essen, sondern auch das passende Wasser zum Wein. Gerne hilft dabei der Wasser-Sommelier, wenn einschlägige Lokale Wasserkarten mit über 40 Positionen auslegen. Moderne Büromenschen, tüchtig, dynamisch und faltenfrei, wissen es zu schätzen, wenn die angebotenen Marken auf der Karte gleich nach ihrem Natriumgehalt geordnet sind.
Doch nicht nur in den Restaurants ist Wassertrinken zum Ritual geworden. Die meisten Großstädter scheinen von ständiger Dehydrierung bedroht zu sein. Kaum jemand erinnert sich noch, wie es möglich war, ohne Wasserflasche durch die Stadt zu flanieren. Ist man da ver-
durstet? In den Straßen der Innenstadt ist die Wasserflasche gerade dabei, mit dem unvermeidlichen "Coffee to go" gleichzuziehen. Wahrscheinlich als asketisches Statement. War der Latte Macchiato im Pappbecher mit der Aussage verbunden, dass der dichte Tagesablauf keine Pausen zulässt und die Dosis Koffein unterwegs den Organismus am Laufen halten muss, regelt das allzeit griffbereite Wasser diese Fragen gesundheitsbewusster. Keine übermäßige Koffeinzufuhr, keine Gewichtsprobleme durch Milchschaum, dafür sorgfältig regulierter Wasserhaushalt und ein störungsfreier Arbeitstag. Eine seltsame Welt.
Dazu passt wunderbar ein Zitat des deutschen Bundespräsidenten: "Wir horchen staunend auf, wenn eine Nasa-Sonde Wasser auf dem Mars entdeckt haben soll", sagte Horst Köhler kürzlich bei einer Rede, "aber wir haben verlernt zu staunen über das Wasser, das bei uns so selbstverständlich aus dem Hahn fließt". Wie wahr.