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Waterloo der Wirtschaftswissenschaft

Von Erhard Fürst

Gastkommentare
Erhard Fürst war Leiter der Abteilung Industrie- und Wirtschaftspolitik in der Industriellenvereinigung.

Bankenkrise, Finanzmarktkrise, Konjunkturkrise, Verschuldungskrise, Bankenkrise: zurück zum Ausgangspunkt.


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Das bisherige Krisenmanagement seit Ausbruch der Griechenlandkrise bietet für Normalbürger ein chaotisches Bild; wohl auch für die Finanzmärkte und Ratingagenturen, was einen Teil ihrer sonst nur schwer verständlichen Reaktionen erklärt.

Erinnert sei an den Anfang der Griechenlandkrise, als man Kanzlerin Angela Merkel vorwarf, mit dem wahltaktischen Hinauszögern einer 30-Milliarden-Euro-Finanzspritze für Griechenland die rasche und definitive Lösung des Problems verhindert zu haben. Vor kurzem noch wurden Beträge von 200 bis 400 Milliarden Euro genannt, die Griechenland für die nächsten zehn Jahre benötige.

Nach hartnäckigen Versicherungen, private Gläubiger nicht zur Kasse zu bitten, einigte man sich im Sommer auf einen moderaten "Haircut" von 21 Prozent. Beim jüngsten EU-Gipfel wurde nun ein "freiwilliger" Verzicht um 50 Prozent festgelegt, wobei Experten meinen, Griechenland könne auch dann noch nicht finanziell auf eigenen Füßen stehen.

Rettungsschirme von zuerst 250, dann 440 Milliarden Euro blieben weitgehend wirkungslos, und ob die durch Finanzakrobatik geplante weitere Aufblähung auf 2000 bis 3000 Milliarden Euro das Vertrauen der Märkte nachhaltig stärkt, bleibt fraglich. Wenn dann der zuständige EU-Kommissar vorschlägt, notfalls den Ratingagenturen, die bekanntlich außerhalb Europas domiziliert sind, die Beurteilung von Länderrisiken zu verbieten, erreicht die Absurdität ihren Höhepunkt.

Als "Dank" für den weiteren Schuldenerlass hat nun der griechische Premier Giogros Papandreu mit der Ankündigung einer Volksabstimmung über das jüngste Sparpaket überrascht, obwohl nahezu zwei Drittel der Griechen dieses Paket ablehnen. Geht die Volksabstimmung negativ aus, steht die Eurozone vor demselben Dilemma wie vor dem jüngsten Gipfel: Bankrott des Landes und Austritt aus der Währungsunion oder weitere Hilfspakete und Schuldennachlässe.

Bei aller Kritik am Krisenmanagement der Politik darf nicht vergessen werden, dass sie bei ihren Anstrengungen von der Wirtschafts-
"Wissenschaft" allein gelassen wurde. Die geballte ökonomische Expertise der aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds bestehenden "Troika" brachte angesichts der politischen Divergenzen keine nachhaltige Gesamtstrategie zustande.

Auch das Studium der Vorschläge mehr oder weniger renommierter Ökonomen zur Krisenlösung bringt wenig Gewinn, da jeder eine andere Therapie anpreist. Einmal soll Griechenland aus der Währungsunion austreten, dann sollen wieder die früheren "Hartwährungsländer" austreten und eine kleine Hartwährungsunion gründen. Einmal soll man Griechenland "geordnet" in den Konkurs schicken, dann sollen wieder unbeschränkt Eurobonds ausgegeben werden, für die alle Euroländer solidarisch haften. Einmal soll die EZB die Staatsschulden der Problemländer unbegrenzt aufkaufen, dann wieder sich auf ihre geldpolitische Kernaufgabe, die Kontrolle der Inflationsrate, beschränken. Da beneidet man als Ökonom die Mediziner um ihre evidenzbasierten Therapien.