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Demut ist bekanntlich nicht die erste Politikerpflicht. Schon gar nicht, wenn es um deren sogenannte wohlerworbene Rechte geht. Das ist schlecht für die Demokratie.
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Irgendetwas stimmt nicht mit Österreichs Demokratie, die Frage ist nur was?
Meine These: Wir haben ein grundsätzliches Problem mit Machtwechseln.
Das hängt mit einer geradezu absurden ideologischen Überhöhung der bestehenden politischen Machtverhältnisse zusammen. Wohlgemerkt: Die Machtverhältnisse werden überhöht, nicht - wie man ja durchaus auch vermuten könnte - einzelne politische Positionen; die erweisen sich nämlich bei tagespolitischem Bedarf als durchaus disponibel. Man sieht das ganz wunderbar und recht regelmäßig an den diversen Steuer-, Integrations- oder Wehrpflichtdebatten.
In Österreich hat dagegen nicht der opportunistische Schwenk in einer programmatischen Grundsatzfrage den Hautgout des politisch Unanständigen, als Tabubruch wird vielmehr die Abwahl einer einstmals strukturellen Mehrheitspartei aus ihrem Paradies auf Erden empfunden.
Deshalb empfanden die Bürgerlichen auch den Verlust ihrer Mehrheiten in Salzburg und der Steiermark im Herzen weniger als demokratische Abwahl durch die Bürger, sondern als illegitime Usurpation der Schalthebel im Land durch die SPÖ.

Genau so - nur umgekehrt - fühlten Anhänger der Sozialdemokratie beim Auszug aus dem Kanzleramt im Februar 2000. Und allein der öffentlich geäußerte Gedanke daran, dass Wien jemals anders als rot regiert werden könnte, gilt einer qualifizierten Mehrheit in dieser schönen Stadt bereits als Todsünde wider den guten Geschmack.
Diese ideologische Überhöhung bestehender Machtverhältnisse überrascht umso mehr, als nach allem, was bisher bekannt wurde, die Veränderungen in Salzburg und der Steiermark am Durchschnittsbürger quasi spurlos vorübergingen. In Kärnten hat dieser Weg zugegebenermaßen zielgerichtet in die Beinahe-Pleite geführt - allerdings mit der tatkräftigen Unterstützung aller anderen Parteien mit Ausnahme der Grünen.
Demokratiepolitisch ist dieser Hang zum überhöhten Status quo einigermaßen bedauerlich. Mit dem Verlust der Ideologie ist der demokratisch legitimierte regelmäßige Wechsel an der Spitze der Institutionen nämlich der beste Garant für die Minimierung der Möglichkeiten zum Machtmissbrauch und die Maximierung von Kontrolle und Transparenz. Um es mit Lord Acton, einem britischen Liberalen des 19. Jahrhunderts, zu sagen: Macht korrumpiert und absolute Macht korrumpiert absolut.
In diesem Sinne wäre es demokratiepolitisch an der Zeit, dass die österreichweit so heiß begehrten "klaren Verhältnisse" (©Erwin Pröll) einmal in ihr radikales Gegenteil verkehrt werden. In St. Pölten, Tirol, und ja, auch in Wien.