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Weder Bad Boys noch Pinocchios

Von Emilio Rappold, Caracas

Wirtschaft

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"Die sind doch alle ein Haufen Pinocchios", hatte vor ein paar Jahren der damalige Ölminister Venezuelas, Edwin Arrieta, über seine Kollegen der Organisation Erdöl exportierender Länder (OPEC) gesagt. Die ständige Missachtung von Förderabsprachen hatte bei sinkender Abhängigkeit der Verbraucherländer das Kartell nach seinen Muskelspielen der 70er Jahre in die Bedeutungslosigkeit getrieben. Doch rechtzeitig vor dem OPEC-Gipfel - ab morgen, Mittwoch, - in Venezuela spielt die OPEC wegen der Preisexplosion wieder eine Hauptrolle im Weltgeschehen. Das will das Kartell zur "langfristigen Positionsfestigung" nutzen.

Die Konjunkturlage soll in der venezolanischen Hauptstadt allenfalls am Rande erörtert werden. Venezuelas Staatspräsident und Gipfel-Gastgeber Hugo Chavez, der gerne gegen "den wilden Kapitalismus" zu Felde zieht, will aus der OPEC langfristig eine "echte Einheit und Größe" nicht nur im Erdölbereich machen. Man wolle, so der 46-jährige Ex-Putschist und Linksnationalist, die Beziehungen zwischen den Mitgliedern "ohne Diskriminierungen" stärken, sich "gegen Embargos jeder Art und die einseitige Einmischung in innere Angelegenheiten eines Landes" aussprechen sowie die "Sache Palästinas" unterstützen.

Die OPEC als Größe im politischen Weltgeschehen unabhängig von Ölkonjunkturen könnte mehr als ein Wunschtraum sein. Brasilien kündigte an, dass es spätestens 2010 in die OPEC wolle. Gipfel- Organisator Jorge Valero versichert, dass Russland mit einem Beitritt liebäugelt und eventuell schon in Caracas - wo Moskau ebenso wie Mexiko und Norwegen als Beobachter dabei ist - seine Karten aufdeckt.

Über ein konkretes Integrationsvorhaben (die Fusion der Staatsfirmen PDVSA und Petrobras zur Petroamerica) verhandeln Caracas und Brasilia seit Monaten. Probleme zwischen den Mitgliedern (Irak- Kuwait und Irak-Iran) seien von der Presse hochgespielt worden, sagt Valero. "Die Lage ist normal", beteuert der Vize-Außenminister.

Nicht nur vom "Pinocchio"-Syndrom, auch vom "Bad-Boy"-Image will die OPEC loskommen. Die Warnungen, Proteste und Klagen aus den Verbraucherländern werden scharf zurückgewiesen. Die Ölpreisexplosion von 15 Dollar Mitte 1999 auf fast 38 US-Dollar sei am wenigsten von der OPEC zu verantworten, sagt der Organisationspräsident und venezolanische Energieminister Ali Rodriguez. Allein die jüngste Marktspekulation habe den Ölpreis um acht Dollar in die Höhe getrieben. Nichts mit der OPEC zu tun hätten auch die Erhöhung der Ölsteuern in den Verbraucherländern, die großen Schwierigkeiten der Raffinerien und der Transport.

Rodriguez räumt ein, dass ein Ölpreis über 40 Dollar eine Notsituation auslösen würde. Eine weitereErhöhung der OPEC-Produktion um täglich 500.000 Barrel könne man deshalb nicht ausschließen. Diese könne aber erst beim Ministertreffen im November beschlossen werden, "wenn die Preise sich bis dahin mindestens 20 Tage in Folge nicht innerhalb der gewünschten Bandbreite von 22 bis 28 Dollar bewegen". Rodriguez ist aber überzeugt, dass die Preise ab Oktober nachgeben werden, wenn die beschlossene Zusatz-Produktion von 800.000 Barrel pro Tag auf den Markt kommt. Einen Preiskrieg wolle man verhindern.

In Caracas wollen die elf Delegationen und neun Staats- und Regierungschefs (der irakische Staatschef Saddam Hussein und Libyens Revolutionsführer Muammar Gaddafi sagten aus "Sicherheitsgründen" ab) laut Valero zwar nicht über die aktuelle Preisentwicklung reden, dafür aber den Grundstein für "langfristig stabile und gerechte Preise" setzen. Konkrete Vorschläge zur Verwirklichung dieses Ziels gab die Organisation, die heute mit 30 Mill. Barrel pro Tag 40%t der Weltproduktion stellt (in den 70er Jahren waren es zwei Drittel), bisher nicht bekannt. Chavez sagte aber, er wolle die Diskussion über alternative Energiequellen "richtig in Gang" bringen.