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Weder Heirat noch Premiersposten

Von Veronika Eschbacher

Politik

Regierende Kongresspartei in starken innenpolitischen Turbulenzen.


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Neu Delhi. "Ich bewundere Rahul Gandhi wirklich. Von all den Menschen, die nichts erreicht haben, ist er bei weitem der Bescheidenste", ätzt Sunil Rajguru über den Kurznachrichtendienst Twitter. Über den Sohn von Sonia Gandhi - Chefin der in Indien regierenden Kongresspartei - und Urenkel von Indiens erstem Premierminister Jawaharlal Nehru ist auf dem Subkontinent eine heftige Debatte ausgebrochen. Gandhi hatte in einem Gespräch mit Journalisten verneint, Interesse am Job des Premierministers des Landes zu haben.

Der 42-Jährige war erst im Jänner zum Vizepräsidenten der Kongresspartei gekürt worden. Dies nährte Spekulationen, er würde - im Falle eines Erfolgs der Kongresspartei bei den nationalen Wahlen im Mai 2014 - den Posten übernehmen und damit als weiterer Vertreter und Erbe der Gandhi-Nehru-Dynastie das Schicksal Indiens mitbestimmen.

Gandhi, der übrigens ebenso wenig wie seine Mutter Sonia mit dem Führer der indischen Freiheitsbewegung Mahatma Gandhi verwandt ist, stellte jedoch klar, dass der Posten des Premierministers nicht seine Priorität sei, und fügte hinzu, dass er an längerfristige Politik glaube.

Analysten sehen hinter der jetzigen Absage einen Schachzug der Gandhis. Würde man Rahul zu früh als potenziellen Premierminister vorstellen, könnte dies dazu führen, dass er sich allen Angriffen der konkurrierenden Parteien, allen voran der oppositionellen nationalistischen Hindu-Partei BJP, aussetzen müsste. Den Spitzenkandidaten erst kurz vor einer Wahl oder den künftigen Amtsträger gar erst nach durchgeführter Wahl bekanntzugeben, ist eine gern praktizierte Taktik in Indien.

Angriffsflächen bietet Rahul Gandhi nicht wenige. Einerseits wird ihm mangelnder Erfolg vorgeworfen. Bei den Regionalwahlen 2012 im mit knapp 200 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten Bundesstaat Uttar Pradesh war er als Spitzenkandidat angetreten, er konnte aber nur 23 von 403 Sitzen im Landesparlament erringen. Die Kongresspartei wurde lediglich viertstärkste Kraft.

Andererseits hat Gandhi das Image eines Softies und Muttersöhnchens. Nicht zuletzt ist er halber Europäer - seine Mutter Sonia stammt aus Italien. Darüber hinaus spotten Kommentatoren, Rahul hätte sich bisher nicht durch sonderliche Intelligenz hervorgetan und sei recht langsam.

Aura um den Namen Gandhi soll Kongresspartei helfen

Der wichtigste Vorzug, auf den Rahul bauen kann, ist seine Abstammung. Nicht selten hört man in Indien, dass nur ein Name das ganze Land vereinen kann: der Name Gandhi. Darauf setzt man bei der Kongresspartei, die aktuell in Indien die Regierungskoalition anführt.

In der Tat scheint der Name Gandhi einer der wenigen Trümpfe zu sein, die der Kongresspartei geblieben sind. Die Regierung von Premierminister Manmohan Singh kämpft aktuell gegen eine starke Vertrauenskrise. Das Wirtschaftswachstum ist so niedrig wie schon lange nicht - 5 Prozent sind prognostiziert für dieses Jahr, vor zwei Jahren träumte man noch davon, 10 Prozent zu erreichen. Gleichzeitig steigen die Preise. Das Versagen in der Wirtschaftspolitik wird der Regierung Singh angekreidet, die bisher kaum große Reformen durchbringen konnte. Offen ist etwa noch immer die Neuregelung der Landvergabe (die aktuelle Gesetzgebung stammt aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und bietet keinerlei Rechtssicherheit), die Liberalisierung des Bankensektors oder dringend notwendige Verbesserungen der Infrastruktur. Zumindest bei der Landbevölkerung konnte man durch die Finanzierung von kleinlandwirtschaftlichen Projekten punkten.

Am meisten setzen der Kongresspartei jedoch die unzähligen Korruptionsskandale zu, angefangen von der undurchsichtigen Vergabe von 3G-Telekommunikationslizenzen, durch die dem Staat geschätzte 35 Milliarden Euro entgangen sind. Bei "Coalgate", dem Skandal um die zu günstige Vergabe von Lizenzen für Kohleabbau, soll der Staat noch mehr Geld verloren haben: geschätzte 207 Milliarden Euro. Erst kürzlich flog ein Skandal rund um den geplanten Kauf von italienischen Agusta Westland-Hubschraubern für die indische Armee auf, bei dem ein Großteil der kolportierten 65 Millionen Dollar Schmiergeld nach Indien geflossen sein soll.

Bei der Kongresspartei geht nun die Angst um, bei den nächsten nationalen Wahlen eine schwere Niederlage hinnehmen zu müssen. Dies führte bereits zu verzweifeltem Gezeter unter den Parteimitgliedern, nur der Mythos rund um die Gandhi-Familie könne die Wahlen noch retten. Daher müsse Rahul als Premier-Kandidat antreten. Nicht verwunderlich also, dass sich keine drei Stunden nach den Aussagen Rahuls der Sprecher der Kongresspartei auf Gandhi als "Oberkommandierenden" der Partei bezog und betonte, dass die Parteimitglieder ihn sich als Premier wünschten.

Ob die Strategie aufgeht, bleibt offen. "Bei Wahlkampfveranstaltungen im letzten Jahr kamen die Menschen, um Rahul zu sehen wegen seines Namens. Gewählt haben ihn letztendlich aber sehr wenige", sagt Rani Mullen vom Centre for Policy Research in Neu Delhi zur "Wiener Zeitung". Wenig überraschend also, dass manche indische Medien seine gleichzeitig zur Premier-Absage getätigte Aussage, nicht heiraten zu wollen, stärker betonten.