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Weg frei für die Doppelherrschaft

Von WZ-Korrespondent Axel Eichholz

Europaarchiv

Inaugurationsfeier mit Symbolkraft. | Putin wird am Donnerstag zum Premier gewählt. | Moskau. Der russische Adler hat zwei Köpfe. Der russische Staat bald ebenfalls: In einer Doppelzeremonie werden heute, Mittwoch, der neue Präsident Dmitri Medwedew und tags darauf sein Vorgänger Wladimir Putin in das Amt des Ministerpräsidenten eingeführt. Am treffendsten beschrieb - vermutlich ungewollt - Parlamentsvorsitzender Boris Gryslow die Situation. "Wir erwarten die feierliche Amtseinsetzung des gewählten Präsidenten Dmitri Medwedew und gleich darauf die Amtsbestätigung Wladimir Putins als Regierungschef". Im Klartext: Putin wechselt das Amt, aber er bleibt an der Macht.


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Lange hatte der Kreml auf gutes Wetter für die Feiern gehofft. Doch am Dienstag wich das Moskauer Sommerwetter einer Kältewelle. Regnen wird es dennoch nicht: Spezialflugzeuge werden Regenwolken über Moskau am Tag der Inauguration Medwedews vertreiben.

Der Ablauf der Amtseinsetzung wird trotz des ungewöhnlichen Machtwechsels wie bisher verlaufen, versicherte der Kanzleichef des Präsidenten, Wladimir Koschin. Also: Präsidenteneid, Inaugurationsrede, Begrüßung auf dem Innenplatz des Kremls, Festgottesdienst des Patriarchen Alexij von Moskau und Artilleriesalven unterhalb des Kremls an der Moskwa.

Einen Unterschied wird es freilich geben: Anders als bisher wird der scheidende Präsident Putin die erste und wichtigere Rede halten. Bei seiner eigenen Amtseinsetzung vor vier Jahren redete nur er. Damit wird auf den "doppelköpfigen" Charakter der neuen Machtkonstruktion hingewiesen.

Putin hat sich bereits Mitte April zum Chef der Staatspartei Einiges Russland, die die Zwei-Drittel-Mehrheit in der Duma und in den meisten lokalen Parlamenten besitzt, wählen lassen. Damit kann er die Initiativen des Präsidenten kontrollieren und die Provinzfürsten in der Hand behalten. Auch will er als Regierungschef den Posten eines für die sogenannten "Machtämter" (Armee, Innen- und Außenministerium, Polizei und Geheimdienst) zuständigen Vizeregierungschefs etablieren. Bisher war für diese Bereiche ausschließlich der Präsident zuständig.

Dabei sein ist alles

Bis zuletzt geheim blieb die Liste der 2000 Gäste, die zur Inaugurationsfeier am Mittwoch geladen waren. Besonders begehrt waren dabei Plätze zu beiden Seiten des roten Teppichs, über den der Präsident durch zwei Säle des Großen Kremlpalastes zu der Bühne schreiten wird. Jedenfalls anwesend sein werden Regierungsmitglieder, Parlamentsabgeordnete, religiöse Würdenträger und ausländische Botschafter. Von den 89 russischen Provinzfürsten darf natürlich auch keiner fehlen. Wer keine Einladung bekommt, muss dies als Zeichen von Ungnade auffassen.

Keinesfalls sehen wird man bei den Feiern indes Vertreter der demokratischen Opposition. Sie dürfen dem Kreml gar nicht erst in die Nähe kommen. Für Dienstagabend riefen die Regierungskritiker mit Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow an der Spitze dennoch zu einem - von den Behörden umgehend verbotenen - Marsch der Dissidenten gegen die "Herrschaft der Oligarchen" vor dem Kreml auf.

Von den zur Inauguration geladenen ausländischen Gästen (deren Namen bis zuletzt wie ein Geheimnis gehütet wurden) sagte einer seine Teilnahme bereits offiziell ab: Viktor Juschtschenko. Er will erst Ende Mai nach Moskau kommen, dies sei mit Putin abgesprochen. Vermutlich weiß der ukrainische Präsident nicht so recht, wer in Moskau künftig das Sagen haben wird.

Am Donnerstag wird die Duma Putin im Eilverfahren zum Regierungschef wählen. Diese Amtsbestätigung wirkt wie eine Zweitinauguration. Die üblichen Konsultationen mit den Duma-Fraktionen ließ man trotz zum Teil heftigen Murrens der Abgeordneten fallen.

Säbelrasseln zum Start

Es gab einen aus Kreml-Sicht wichtigen Grund für diese ungewöhnliche Eile: Am Freitag findet eine große Militärparade zum Tag des Sieges über Hitler-Deutschland statt. In der Sowjetzeit wurde aus der Aufstellung auf der Festtribüne auf die Machtverhältnisse im Kreml geschlossen. Nun ist man gespannt, in welcher Reihenfolge Präsident und Premier sie betreten und wie sie sich geben werden. Bei der Parade rollen auf Anordnung des neuen Regierungschefs heuer zum ersten Mal seit dem Ende der Sowjetunion wieder Panzer und Atomraketen über den Roten Platz. Zwar sagte Putin, Russland wolle niemand einschüchtern. Das Land wolle nur zeigen, dass es in der Lage sei, sein Volk und seine Bodenschätze vor fremden Zugriffen zu verteidigen. Das Säbelrasseln ist aber nicht zu überhören. Es ist ein nach außen und innen gerichtetes Zeichen: Die Mär vom liberalen Präsidenten Medwedew wird man bald vergessen müssen.