Zur Erweiterung der Europäischen Union möchte der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) nun eine flexiblere Position einnehmen. Hatte ein Beschluss von 1999 noch die Forderung nach einem 80-prozentigen Lohnniveau im Vergleich zu Österreich beinhaltet, so ist in dem aktuellen "Europa-Memorandum" keine Rede mehr davon. Sozial- und arbeitsrechtliche Bedingungen stünden jedoch weiter im Vordergrund.
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Eines habe sich nicht geändert, laut ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch. Die EU-Erweiterung sehe der ÖGB nach wie vor als wichtigstes Friedensprojekt der Geschichte an. Und das gelte es gründlich vorzubereiten. An eine 80-Prozent-Klausel ist dies allerdings nicht mehr gebunden.
In einem "Memorandum an die künftige Bundesregierung" hat der Gewerkschaftsbund 1999 gefordert, Freizügigkeit am Arbeitsmarkt und bei Dienstleistungen erst zu gewähren, "wenn eine ausreichende Annäherung der Lohnniveaus an das österreichische erreicht wurde". Die Marke für die Beitrittswerber wurde bei "zumindest 80 Prozent der österreichischen Löhne" gesetzt.
Siebenjährige Übergangsfrist nicht als "Beruhigungspille"
Die Neupositionierung erfolgte bei der gestrigen Sitzung des Bundesvorstandes. Denn die Notwendigkeit der 80-Prozent-Klausel galt es nicht zuletzt nach Festlegung einer siebenjährigen Übergangsfrist bei der Freizügigkeit des Arbeitsmarktes zu überprüfen. Doch auch die Übergangsfrist solle nicht als "Beruhigungspille" verstanden werden, mahnte Verzetnitsch - und plädierte für eine "aktive Nutzung" dieser Zeit. In erster Linie dürfe dabei die soziale Komponente nicht vernachlässigt werden.
"Arbeitnehmerschaft in
Beitrittsprozess einbeziehen"
In einem fünf Punkte umfassenden Forderungskatalog drängt der ÖGB die Regierung, "endlich mit den wirtschafts- und sozialpolitischen Vorbereitungen auf die Erweiterung in Österreich zu beginnen". Er unterstreicht die Bedeutung der Einbeziehung der Arbeitnehmerschaft, der Forcierung aktiver Arbeitsmarktpolitik, von Kooperationen in Grenzregionen, Integrationsmaßnahmen oder des Ausbaus geeigneter Verkehrsinfrastruktur. Eine rasche Anhebung der Lohn- und Sozialstandards sei einzufordern, fasste Verzetnitsch zusammen. Daher sollten Bundesregierung und Sozialpartner die Erweiterung "offensiv" angehen.
Neues Arbeitsrecht für neue Beschäftigungsverhältnisse
Den "Veränderungen der Arbeitswelt" will der ÖGB auch im österreichischen Recht Rechnung getragen wissen. Denn die Zahl der so genannten atypischen Beschäftigungsverhältnisse - wie geringfügig Beschäftigte, freie DienstnehmerInnen, neue Selbstständige, befristete Arbeitsverhältnisse, Leih- und Teilzeitarbeit - sei stark angestiegen, rief der ÖGB-Präsident ins Gedächtnis. Es reiche nicht, diese Veränderungen "zu erdulden". Stattdessen strebe der Gewerkschaftsbund eine Neuregelung des österreichischen Arbeitsrechts an, verkündete Verzetnitsch. Eine Arbeitsgruppe werde diesbezügliche Vorschläge erarbeiten; bis Herbst soll sie erste Ergebnisse vorlegen.