Immer mehr Teile des Körpers können transplantiert werden. | Doch die Forscher stoßen an technische und ethische Grenzen. | Linz/Wien. Was den Menschen vom ewigen irdischen Leben trennt, ist die Unvollkommenheit seines Körpers. Oft sind es ein oder mehrere lebensnotwendige Organe, die versagen - von der Lunge über das Herz bis hin zum Gehirn. Sie einfach zu erneuern und durch unbeschädigte Organe auszutauschen, wäre der naheliegendste Schlüssel zur Lebensverlängerung. Durch eine Art ewige Erneuerung des Körpers.
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Auf dem Gebiet der Transplantationsmedizin verbuchten Forscher und Kliniken in den vergangenen 20 Jahren enorme Fortschritte (siehe Grafik) . Über den aktuellen Stand der Forschung diskutieren Wissenschafter auf dem 51. Österreichischen Chirurgenkongress bis Donnerstag in Linz. Doch trotz des Fortschritts stößt die Medizin in diesem Bereich an technische Grenzen und gedankliche Barrieren. Denn wenn alles an uns ausgetauscht ist, wir also die genetische Information eines oder mehrerer anderer Menschen in uns tragen, wer sind wir dann?
Isabelle Dinoir etwa, die als erster Mensch 2005 dank einer Transplantation ein neues Gesicht bekam, hatte Schwierigkeiten, sich mit ihrer neuen Identität zurechtzufinden. "Ich habe immer noch meinen alten Personalausweis", sagte die Französin dem Nachrichtenmagazin "Focus". Sie hänge an ihren alten Fotos, denn sie seien der einzige Beweis für das, was sie einmal gewesen sei.
Abstoßung von Organen und Probleme des Immunsystems
Kritiker hielten die Gesichtstransplantation damals für verfrüht. Sie betonten, dass man auch durch Eigenhaut-Verpflanzungen hätte versuchen können, ein akzeptables Resultat zu erzielen. Die Transplantation von Fremdhaut berge große Abstoßungsgefahren und sei mit einer lebenslangen starken Medikation zur Immunsuppression verbunden, die weitere Gesundheitsrisiken berge. Dinoir selbst bereut den Eingriff aber nicht: "Vielleicht muss man eine Frau sein, damit kein Zweifel an so einer Entscheidung aufkommt. Unser Abbild ist so eng an unser Weiblichkeitsgefühl geknüpft, dass man zu allem bereit ist, um wieder ein Gesicht zu bekommen."
Seit 2005 wurden weltweit neun Gesichtstransplantationen an Frauen und Männern durchgeführt. Das Gesicht ist sicher eines der spektakulärsten Dinge - meistens sind es innere Organe, Gewebe oder Blutgefäße, die als akute lebensrettende Maßnahme transplantiert werden. Dabei sind manche Eingriffe, etwa an der Niere, bereits Routine. Bei Herz, Leber und Lunge steigen die langfristigen Überlebenschancen stetig.
In Österreich wurden allein 2008 insgesamt 628 Organtransplantationen mit Organen hirntoter Spender durchgeführt. Weitere 62 Transplantationen sind mit Organen von Lebendspendern erfolgt. Was quantitativ wenig erscheinen mag, liegt im internationalen Vergleich im Spitzenfeld.
Nicht nur bei der Transplantation selbst, sondern auch bei der Bekämpfung der Abstoßungsreaktionen durch das Immunsystem macht die Medizin Fortschritte. Einerseits werden Medikamente verbessert, andererseits wird zunehmend mit Eigen-Gewebe und mit Stammzellen gearbeitet. Etwa implantierten spanische Ärzte im Vorjahr erstmals eine Luftröhre, die mit eigenen Stammzellen der Patientin verändert wurde, was eine Abstoßung des Organs verhindert, ohne dass die Patientin Immunsupressiva nehmen muss.
Die Stammzellenforschung ist für Experten eines der Gebiete, in dem sie zukünftig Lösungen für den Mangel an geeigneten Organen sehen. Ziel ist es, die geschädigten Organe dazu anzuregen, sich selbst zu erneuern. Etwa im Bereich der Leberzellen-Transplantation gelangen den Wissenschaftern zuletzt Fortschritte. Generell einsetzbar sind diese Methoden jedoch noch nicht.
Schaurige Faszination und Visionen wie im Film
Wie ersetzbar ist der Mensch? Könnten künftig etwa Augen oder Ohren, vielleicht sogar Gehirne verpflanzt werden? Und was genau würde ein Gehirn-transplantierter Patient erleben: Seinen Körper mit neuem Gehirn oder sein Gehirn im neuen Körper?
Bis auf weiteres wird die schaurige Faszination solcher Möglichkeiten wohl nur Filmabende füllen. Zumal die Sinnesorgane Augen, Ohren, Geschmack und Geruch direkt von Nerven versorgt werden, die Teile des Gehirns darstellen. "Was wir noch nicht können, ist im Zentralnervensystem Verbindungen herzustellen. Deshalb gibt es auch die Querschnittlähmung: Könnten wir das Rückenmark flicken, wäre die sie behandelbar", sagt Ferdinand Mühlbacher, Vorstand der Universitätsklinik für Chirurgie in Wien.
Er vergleicht das periphere Nervensystem (etwa in Armen und Beinen) mit Kupferkabeln in Plastik-Hüllen: Das Kupfer ist der Nerv und die Hülle die Nerven-Scheide, die man relativ problemlos zusammennähen könne. "Im Zentralnervensystem sind die Bahnen nicht so klar zu identifizieren, daher wissen wir nicht, was genau wir zusammennähen", erklärt er. Eine Gehirn-Verpflanzung würde aber noch ein zweites, viel gravierenderes Problem bergen: "Wir nehmen Organe von Hirn-Toten. Ein totes Hirn wollen Sie nicht transplantieren."
Der Hirntod ist der irreversible Ausfall sämtlicher Gehirn-Funktionen. Erst wenn dieser eintritt, werden Spendern Organe entnommen. In Österreich hat sich diesbezüglich ein rechtliches Ablehnungssystem etabliert, bei dem nur jene Menschen, die nicht zu einer Organspende bereit sind, dies schriftlich festhalten müssen. Theoretisch können also jedem Hirntoten Organe entnommen werden.
Dennoch fehlen weltweit Organespender - in den meisten Ländern liegt das an einer ineffizienten Organisationskette. Und der wachsende Mangel an Organspendern bereitet Chirurgen Sorge. Mühlbacher ortet selbst in der Ärzteschaft noch keine umfassende Kooperation. Eine Untersuchung ermittelte jüngst für Österreich 780 potenzielle, aber nur 184 reale Spender im Jahr. Hirntote müssten von den Spitälern, in denen sie sterben, gemeldet werden, "ich habe keinen zentralen Computer, wo ich das abfragen kann", sagt Mühlbacher. Erfahrungen zeigen: Wenn entsprechend ausgebildete und motivierte Ärzte an den entsprechenden Stellen sitzen, gibt es mehr Spender. Organisatorisch gilt Spanien das Vorbild. Dort kommen 30 bis 33 Spender auf eine Million Menschen, in Österreich sind es 25.
Lange Wartelisten für Organe und Mangel an Spendern
Laut einem Bericht des Bundesinstituts für Gesundheitswesen befinden sich in Österreich rund 1150 Personen auf den Wartelisten für eine Organtransplantation. Und nach Schätzungen der EU-Kommission warten in Europa etwa 60.000 Menschen auf Spenderorgane wie Herz, Nieren, Leber oder Gewebe. Dabei werden Organe auch zwischen den Ländern ausgetauscht.
Die Sterberate der Menschen auf den Wartelisten beträgt in Österreich 17 Prozent, in der EU 25 bis 30 Prozent. Das müsste nicht sein, zumal das Potenzial an postmortalen, hirntoten Organspendern vermutlich wesentlich höher ist. Doch die gesetzlichen Regelungen variieren von Land zu Land. "Wir brauchen in unserer Gesellschaft insgesamt mehr Bereitschaft zum Spenden von Organen", erklärte jüngst der britische Experte Andrew Burroughs.
"16-Jähriger verkauft Niere für 350 Millionen Rupiah (26.000 Euro) oder im Tausch gegen einen Toyota Camry", hieß es jüngst auf einer indonesischen Website. Was sich wie ein schlechter Witz anhört, ist dem Inserenten bitterer Ernst. Zwischen Schmuck oder Kosmetik werden Organe angeboten, um mit dem Geld Schulden zu tilgen oder Schulgebühren zu bezahlen. Weiters prangern Menschenrechtsgruppen an, dass Hingerichteten Organe für Transplantationen entnommen werden. Meist aus reichen Ländern stammende Empfänger besorgen sich die benötigten Organe aus ärmeren Ländern, in denen keine Regeln für Organspenden bestehen oder diese nicht angewendet werden. Was neben den Fragen des medizinischen Fortschritts ethische Aspekte aufwirft.
Ein Szenario, in dem Menschen ihren eigenen Körper als Ersatzteillager mangels gesetzlicher Regelungen in den jeweiligen Ländern missbrauchen müssen, ist nicht nur für Menschenrechtler problematisch. Während Organspenden Leben retten, wird durch solche Praktiken der Wert des Lebens in Frage gestellt.