Der Ministerrat hat gestern den Analyseteil zur Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin beschlossen. Darin wird davon gesprochen, dass sich Österreich von der Neutralität de facto bereits verabschiedet habe. Befürwortet wird eine "umfassende und gleichberechtigte Integration" Österreichs in die Solidargemeinschaft der europäischen Staaten, "wozu auch eine Teilnahme am euro-atlantischen Sicherheitsverbund gehört". Außerdem wurde die Schaffung eines Nationalen Sicherheitsrates, der den Landesverteidigungsrat, den Außenpolitischen Rat und den Rat für Integrationsfragen ersetzen soll, beschlossen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 23 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Der Analyseteil zur Sicherheitsdoktrin werde nun dem Parlament zur Diskussion vorgelegt, erklärte Bundeskanzler Wolfgang Schüssel gestern im Pressefoyer. Dabei müsse auch über die neuen Bedrohungsbilder geredet werden. Im übrigen verwies der Kanzler darauf, dass sich die klassische Position zur Neutralität seit 1955 immer wieder verändert habe. Einerseits durch das UNO-Mandat, zweitens durch den Beitritt zur EU und drittens durch den Vertrag von Amsterdam. "Wir sind wie Schweden und Finnland bündnisfrei", sagte Schüssel. Auch Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer rief zu einer Diskussion - "frei von Angstmache" - auf. Bemerkenswert sei, "dass Kritik von der SPÖ kommt, die jahrelang die Neutralität durchlöchert hat wie einen Schweizer Käse", sagte die Vizekanzlerin. Was einen NATO-Beitritte betrifft, stellt sich dieser für Riess-Passer derzeit nicht. Der Kanzler will abwarten, "ob sich die NATO öffnet". Sollte es diese Option geben, "wird man das diskutieren". Die Frage sei, "ob es in Österreich dafür eine gemeinsame Plattform geben kann".
Diese scheint aber nicht gegeben. Denn sowohl SPÖ als auch die Grünen schließen einen NATO-beitritt Österreichs dezidiert aus. Einen Verbündeten hätte die Regierung lediglich im Liberalen Forum, das aber im Parlament nicht mehr vertreten ist. Für den stellvertretenden SPÖ-Vorsitzenden, Nationalratspräsident Heinz Fischer "ist es ziemlich irrelevant, was die Bundesregierung als sogenannten Analyseteil einer Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin beschließt". Relevant sei dagegen, was in der Bundesverfassung stehe - "nämlich die verfassungsrechtliche Verankerung der österreichischen Neutralität". Das sei auch für die Regierung gültig.
Die Neutralität setze sich in der Praxis aus Bündnisfreiheit, der Verpflichtung, keine ausländischen Stützpunkte zuzulassen sowie der verfassungsrechtlichen Verankerung dieses Status zusammen, so Fischer. Daraus ergebe sich, dass der für die politische Praxis entscheidende Unterschied zwischen Bündnisfreiheit und Neutralität "insbesondere in der verfassungsrechtlichen Verankerung der Neutralität liegt". Diese verfassungsrechtliche Verankerung "wird man auch dann nicht beseitigen, wenn der Ministerrat jeden Dienstag eine mit der Verfassungslage nicht übereinstimmende neue Sicherheitsdoktrin beschließen sollte". Fischer sieht folgendes Konzept: Als erster Schritt solle die Neutralität durch Bündnisfreiheit ersetzt werden, um damit die Möglichkeit zu haben, als nächsten Schritt die Bündnisfreiheit durch einfachen Regierungsbeschluss zu entsorgen.
Grüne berufen Landesverteidigungsrat ein
Die Grünen haben gestern sowohl den Landesverteidigungsrat als auch den Rat für Auswärtige Angelegenheiten einberufen. Sie wollen damit die Regierung zwingen, die Opposition in die Debatte um eine neue Sicherheitspolitik miteinzubeziehen. Nach der Einberufung müssen die beiden Räte innerhalb von 14 Tagen abgehalten werden, erklärten der Grüne Sicherheitssprecher Peter Pilz sowie die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Ulrike Lunacek, gestern in einer Pressekonferenz. Österreich brauche eine neue Sicherheitsdoktrin, hielt Pilz fest. Einer Beschlussfassung vorangehen müsse aber eine breite Diskussion. Was die Regierung nun versuche, sei "handstreichartig" die Neutralität abzuschaffen, bestätigt Pilz auch die von Fischer vermutete Vorgangsweise: Das Wort Neutralität werde durch den Terminus Bündnisfreiheit ersetzt, dann das Neutralitätsgesetz entsprechend geändert und zuletzt könnte im Nationalrat mit einfacher Mehrheit die Neutralität abgeschafft werden. Damit wäre die letzte Barriere zu einem NATO-Beitritt gefallen, so Pilz. "Aber das wird es mit Sicherheit nicht spielen".
Kostelka besorgt um Oppositionsrechte
Was die Schaffung des Nationalen Sicherheitsrates betrifft, wofür im Nationalrat nur eine einfache Mehrheit gebraucht wird, ist SPÖ-Klubobmann Peter Kostelka um die Oppositionsrechte besorgt. Denn bisher kann die Opposition den Landesverteidigungsrat oder den Außenpolitischen Rat einberufen. Wie die Vorgangsweise für den Nationalen Sicherheitsrat sein wird, sei nicht klar. "Es liegt die Vermutung nahe, dass die starke Stellung der Opposition im Landesverteidigungsrat in einem solchen neuen Gremium aufgeweicht wird".