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In Kuba zeigen sich Anzeichen eines Wandels. Die Insel, die sehr wesentlich vom Tourismus lebt, unternimmt zögernde Schritte in Richtung Marktwirtschaft. Die USA müssten diesen Bemühungen freilich entgegenkommen.
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Hühnergeschrei, lange Schatten und Kirchenglocken - ein schläfriger früher Morgen in Trinidad, einem adretten Städtchen gleich neben dem Tal der Zuckermühlen in Zentralkuba: Der blaue Schienenbus nach Iznaga lässt auf sich warten. Der Fahrer hat ein Lenkrad, mit dem er nicht lenken kann.

Mehr als 7000 Kilometer Zuckerrohrgeleise durchziehen das Land, viele davon längst verwachsen. Auf einigen sind auch Dampfzüge unterwegs, mit höchstens 15 km/h, über geländerfreie Brücken und querfeldein durch grüne Tunnel von wogendem Zuckerrohr, die auch herrenlosen Eseln gut gefallen. Doch eilig hat es ohnedies keiner. Umfallen kann man drinnen kaum, was nicht alle in vollen Zügen so genießen wie ihre Zigarillos danach.
Am alten Sklaventurm von Iznaga steigen dann die meisten aus, nicht wenige im ausgebleichten olivgrünen Kampfanzug der Werktätigen, und begeben sich per kommunaler Pferdedroschke weiter in ihre Dörfer.
Das alles geschah 2013, wäre aber 1963 nicht viel anders gewesen: Kuba ist nicht planlos, schon gar nicht in der Politik. Aber scheinbar zeitlos. Und daran hat sich seit einem halben Jahrhundert kaum etwas geändert.
Die Revolutionäre mögen grau geworden sein, doch nicht wenige Fahrzeuge von damals sind immer noch im Dienst. Die früheren Armeelaster von Cienfuegos holpern immer noch, mit ihren aufgebauten Holzhütten auf der Ladefläche, gegen die tropischen Regenschauer im Sommer. Die langen Lada-Taxis, gelbe Stretchlimousinen, quälen sich hinunter zur Schweinebucht. Auch den klapprigen Motorradtaxis von Matanzas geht es nicht übel.
Al Capone und Che
Kuba ist die größte karibische Insel und die westlichste der Großen Antillen. Sie liegt 145 km südlich von Florida und ist Heimat von elf Millionen Menschen, nicht nur im lateinamerikanischen Vergleich hochgebildet, die sich bis vor kurzem in einer marxistisch-leninistischen Diktatur des Proletariats auf Lebenszeit wähnten und von Ausreise nur träumen konnten. Auch von neuen Autos, neuen Häusern und neuen Handys: Das internationale Embargo gegen die Erben der Revolution hat den Inselstaat jahrzehntelang immobilisiert und wirtschaftlich erstarren lassen. Man wurde zwangsläufig recht geschickt beim Recyclen und Renovieren von nachkriegszeitlichen Gebrauchsgütern, was der letzten kommunistischen Bastion Lateinamerikas ein graues, stereotypes Gesicht verpasste, das durch die jährlichen Hurrikans zusätzliche Schrammen bekam.
Kuba war in den 1920ern ein schickes Reiseziel, weil es weder Prohibition noch Beschränkungen des Glücksspiels gab. Die gar nicht schlichte Vila, die sich Al Capone und andere Gauner in Varadero zugelegt haben, ist inzwischen eine Pizzeria geworden. Nach dem Sieg der Revolution strömten sozialistische Brüder und Schwestern und solidarische Hobbyrevolutionäre aus aller Welt in die tropische Karibik, wo die anti-imperialistische Freundschaft vor allem in den Strandhochburgen um Varadero und Holguin erwünscht war.
T-Shirts mit dem legendären Konterfei von Che Guevara, meist made in Vietnam, verkaufen sich seit Jahrzehnten prächtig: Fidel Castro hielt den Tourismus zwar für subversiv und korrumpierend, konnte aber auf die Staatseinnahmen nach dem Zusammenbruch der UdSSR nicht mehr verzichten. Kuba lebt nicht schlecht vom Tourismus. Was bleibt anderes übrig? Das internationale Wirtschaftsembargo hält bereits seit Jahrzehnten und die Zuckerindustrie ist etwas schwächlich geworden. Über 70 Prozent der Gäste wollen heute Sonne, Sand und All-Inclusive, 2012 etwa 2,8 Millionen, die über zwei Milliarden US-Dollar in der Staatskasse ließen. Tourismus ist der zweitgrößte Devisenbringer, nach dem Export von Dienstleistungen kubanischer Ärzte und Techniker Richtung Nicaragua, Venezuela und Bolivien.
Errungenschaften

Und so liegen die meisten Gäste, vor allem Kanadier, in abgeschotteten westlichen Enklaven unter karibischer Sonne, lassen sich gelegentlich recht billig Gebiss und Gesäß renovieren und machen gebuchte Tagesausflüge in die Zigarrenfabriken von Havanna. Ein gesunder Urlaub eben in dem Land mit den meisten Hundertjährigen. Ob Cuba Libre (freies Kuba, spanisch) damit zu tun hat, ein Longdrink aus Rum und Cola, ist nicht überliefert.
Die sozialen Errungenschaften der Revolution 1959 sind nicht wegzudiskutieren. Der Analphabetismus tendiert gegen Null, auch die berufliche Gleichberechtigung von Mann und Frau ist weiter als jenseits der Grenzen - der Frauenanteil bei technischen Berufen beträgt über 60 Prozent, zwei Drittel der Hochschulabsolventen sind weiblich.
Doch gute Ausbildung hat selten etwas mit hohem Einkommen zu tun. Denn mit dem Tourismus kam auch die Zweiklassengesellschaft wieder zurück, die schon erfolgreich ausgerottet schien. Zimmermädchen, Taxifahrer und Reiseleiter verdienen mit ihren Trinkgeldern ein Vielfaches von Ingenieuren und Ärztinnen, die bis heute kaum über umgerechnet 15 Euro Monatsgehalt hinauskommen. Die chromblitzenden 57er Chevy-Taxis, buntes Markenzeichen der Insel, fahren vor allem für Touristen, denen Ausländertarife in Ausländerwährung verrechnet werden - also in Pesos Convertibles (CUC), etwa das Vierundzwanzigfache des kubanischen Normalpreises für dieselbe Taxifahrt in Pesos Cubanos (CUP), dem Lohn- und Zahlungsmittel für das kubanische Volk.
Wer kann, verdient sich ein Zubrot im Tourismus - auch als Jineteros und Jineteras, wenig schmeichelhafte Bezeichnungen für Männer und Frauen, die für Geld jede sozialistische Moral vergessen, sich an Touristen heranmachen und neben Touren und Zigarren auch sich und ihre Körper anbieten.
Mediennotstand
Satellitenschüsseln sind für Privatpersonen weiterhin verboten, das Medienmonopol des Staates ist rigide wie eh und je. Laut "Reporter ohne Grenzen" haben nicht einmal drei Prozent der Bevölkerung Zugang zum World-Wide-Web, das ist die niedrigste Rate Lateinamerikas. Der E-Mail-Datenverkehr wird staatlich überwacht, in den Internetcafés der Touristenzentren muss in CUC bezahlt werden, was für Einheimische kaum erschwinglich ist.
Seit Ende 2011 existiert Red Social, ein Klon von Facebook, der ausschließlich im kubanischen Intranet freigeschaltet ist. "Ohne eine hinreichend breite Auffahrt ins www droht die Insel den Anschluss an die internationale Entwicklung zu verlieren", warnt Ignacio Ramonet, Ehrenpräsident von Attac, Mitorganisator des Weltsozialforums und autorisierter Biograph von Fidel Castro.
Raul Castro, 82 und Revolutionär der ersten Stunde, ist seit 2008 Präsident des Staats- und des Ministerrates der Republik Kuba und seit 2011 Erster Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas. Doch erst in letzter Zeit scheint einiges in Schwung zu kommen, was über Jahrzehnte als unveränderliches Dogma galt. Der Kurs der Ausweitung vom Marktmechanismen und privater Selbständigkeit wurde 2010 von der Nationalversammlung bekräftigt. Auch Ausreiseerlaubnisse, die nur unter hohen Kosten und per Einladung staatlich genehmigt werden mussten, sind Vergangenheit. Wer weg will, darf das seit 2013 auch, theoretisch zumindest: Allerdings ist ein Reisepass für weite Teile der Bevölkerung weiterhin unerschwinglich. Er kostet 100 CUC, fünf durchschnittliche Monatsgehälter, und muss alle zwei Jahre kostenpflichtig verlängert werden.
Nach der historischen Begegnung mit US-Präsident Obama am Rande der Trauerfeierlichkeiten für Nelson Mandela traf ein Dialogangebot Castros in Washington ein: "Wir glauben, dass wir eine zivilisierte Beziehung aufbauen können", stand da, wobei Kubas soziales und politisches Modell jedoch unverhandelbar sei. Zögerliche Liberalisierung also, aber Beibehaltung von Zensur und Dirigismus.
Ein Entgegenkommen der USA, das seine Militärstützpunkte und Internierungslager in Guantanamo (Ostkuba) bis heute nicht aufgegeben hat, könnte vieles ändern: Die Wirtschaft Kubas liegt am Boden, es fehlt an potenziellen Handelspartnern und Investoren, trotz der Erlaubnis von Joint Ventures unter staatlicher Aufsicht. Der Zugang zum internationalen Finanzmarkt ist untersagt, die Abhängigkeit von subventionierten Öllieferungen der sozialistischen Brüder in Venezuela eklatant. Nicht nur Communities von Exil-Kubanern in Florida warten sehnlichst auf den Startschuss zu einer Konsumgüterversorgung des Landes, dem es seit 54 Jahren an vielem fehlt. Doch so schnell wird es wohl nicht gehen.
Neue Möglichkeiten
Vor einigen Wochen wurde immerhin Handel mit Autos und Motorrädern wieder erlaubt, der bisher an staatliche Zustimmung gebunden war. Laut "Granma", dem Zentralorgan der Kommunistischen Partei Kubas, ist diese Maßnahme Teil der von Staatschef Raul Castro angekündigten Reformen zur wirtschaftlichen Öffnung des Landes. Dass der CUC, die harte Parallelwährung für touristische Dienstleistungen im Nennwert des Dollars, demnächst abgeschafft werden soll, wird seit Oktober 2013 angekündigt.
Seit Jahren spaltete die Doppelwährung die Gesellschaft in zwei Parallelwelten. Während manche Kubaner von Verwandten im Ausland Geldzuweisungen in CUC erhielten, musste sich die Mehrheit mit der Auszahlung der staatlichen Gehälter in der weicheren offiziellen Landeswährung CUP begnügen. Der mittlere Monatslohn liegt dabei gerade bei rund 20 CUC, trotz der subventionierten Grundversorgung zu wenig für ein akzeptables Leben. Emilio Morales von der "Havanna Consulting Group" in Miami warnt vor den unkalkulierbaren sozialen Kosten einer überhasteten Veränderung und plädiert für eine Übergangszeit von bis zu vier Jahren. Alles andere sei politischer Selbstmord.
Und genau das wird Raul Castro mit allen Mitteln zu verhindern suchen.
Günter Spreitzhofer, geboren 1966, ist Lektor am Institut für Geographie und Regionalforschung (Universität Wien) und Publizist.