"Sinn dieses neuen Steuertatbestandes ist nicht Schikane, sondern eine Regelung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung". Der Kommentar zu der 1992 eingeführten besonderen Steuerpflicht stiller Reserven bei der Übersiedlung ins Ausland liest sich wie eine Entschuldigung für den neuen Steuererfindungs-Paragraphen, gegen den es bei den parlamentarischen Beratungen heftigen Widerstand gegeben hatte. Das Ärgernis war nicht zu verhindern: die "Wegzugsbesteuerung" wurde Gesetz.
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Das Einkommensteuergesetz sieht für den Privatverkauf von Anteilen an Kapitalgesellschaften (AG, GesmbH) eine besondere Steuerpflicht des Veräußerungsgewinns vor, wenn der Verkäufer an der betreffenden Gesellschaft innerhalb der letzten fünf Jahre zu mindestens einem Prozent (oder mehr) beteiligt war. In diesem Fall kommt es auch dann zu einer Besteuerung, wenn der Verkauf außerhalb der sonst üblichen Spekulationsfrist von einem Jahr erfolgt.
Ein solcher Veräußerungsgewinn wird von der Finanz aber auch dann fingiert und besteuert, wenn der Eigentümer dieser Anteile (in- oder ausländische Aktien oder GesmbH-Anteile) die heimischen Gefilde verlässt und auf Dauer ins Ausland übersiedelt. In diesem Fall wird der seinerzeitige Anschaffungswert der Beteiligung dem aktuellen Verkehrswert gegenübergestellt. Ergibt sich dabei ein Veräußerungsgewinn, dann wird dieser mit dem Hälfte-Steuersatz belegt.
Eine Fiktionsbesteuerung! Denn natürlich bleibt der bisher Beteiligte ungeachtet seiner Übersiedlung "nach draußen" mangels tatsächlichem Verkaufs unverändert Beteiligter, aber er ist dann eben Steuerausländer und damit dem heimischen Fiskus abhanden gekommen. Im Regelfall fiele ein späterer (tatsächlicher) Verkaufsgewinn aus der Beteiligung (oder etwa ein Liquidationsgewinn) gemäß den meisten bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen dem ausländischen Fiskus zu und dem möchte die heimische Finanz natürlich zuvorkommen.
Dieses System der Besteuerung von "Steuerflüchtlingen" nennt sich schlicht Wegzugsbesteuerung, damit nicht etwa Assoziationen mit der Reichsfluchtsteuer unseligen Andenkens hochkommen. Tatsächlich wird die Emigration zur Ursache der Besteuerung gemacht.
Wohnsitzverlegung
Eine Wegzugsbesteuerung wird vom Finanzamt allerdings auch dann vorgenommen, wenn solche Kapitalanteile an einen Steuerausländer unentgeltlich übertragen oder etwa in eine ausländische Stiftung eingebracht werden. Und eine Fiktionsbesteuerung erfolgt auch, wenn ein inländischer Wohnsitz zwar beibehalten wird (und damit weiterhin unbeschränkte Steuerpflicht bestehen bleibt), aber der "Mittelpunkt der Lebensinteressen" des Steuerzahlers ins Ausland verlegt wird.
Sitzverlegung
Die im Einkommensteuergesetz verankerte Wegzugsbesteuerung findet ein undeutlich formuliertes Pendant auch im Körperschaftsteuerrecht. Danach wird eine bisher unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaft zum Zeitpunkt des Endes ihrer heimischen Steuerpflicht (also etwa bei der Sitzverlegung ins Ausland) einer Fiktionsbesteuerung unterzogen. Besteuert wird der Unterschiedbetrag zwischen dem Buchwert ihrer Wirtschaftsgüter und dem gemeinen Wert (also dem Verkehrswert).
EuGH-Entscheidung
Die Wegzugsbesteuerung findet man (unter verschiedenen Bezeichnungen) auch in anderen Staaten. Seit der Bildung der EU-Gemeinschaft gibt es allerdings auch das Prinzip der Niederlassungsfreiheit. Beide Prinzipien kollidieren offensichtlich, denn die bloße Wohnsitzverlegung innerhalb des Gemeinschaftsgebietes sollte nicht zu einer Besteuerung der Wertsteigerung von Wertpapieren führen, die tatsächlich nicht realisiert wurde.
Diese Unvereinbarkeit von Wegzugsbesteuerung und der Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft wurde soeben auch vom Europäischen Gerichtshof ausdrücklich bestätigt ). In einem Streitfall, der einen von Frankreich nach Belgien übersiedelten (und deshalb von der französischen Finanz besteuerten) Wertpapierbesitzer betraf, entschied das Gericht gegen die Besteuerung des "Steuerflüchtlings".
Wiederaufnahme
Die Entscheidung hat auch für (Ex-)Österreicher Bedeutung, die anlässlich der Verlegung des Mittelpunkts ihrer Lebensinteressen in Mitgliedstaaten des EU-Bereichs vom österreichischen Fiskus zur Steuerkasse gebeten wurden oder noch davorstehen. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Luxemburger Gerichts könnte die Steuerpflicht vermieden, nach Meinung von Steuerexperten sogar für Vorjahre innerhalb der Verjährungsfrist durch Wiederaufnahme wieder sistiert werden.
Schlechte Aussichten bestehen freilich für jene Auswanderer, die sich auf Dauer in die Schweiz oder in andere Nichtmitgliedsländer verfügt haben oder verfügen wollen. Das EuGH-Judikat bezieht sich nur auf die Freizügigkeit im EU-Bereich.
) EuGH Zl. C-9/02 v.
11 .3. 2004