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Wege zum Tod

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

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Passend zu Allerheiligen und Allerseelen, wenn die Christen der Toten und des Todes gedenken, fordern Liberale in Belgien eine Ausweitung der aktiven Sterbehilfe. Diese kann in Anspruch nehmen, wer sich in einer medizinisch aussichtslosen Lage befindet und sich auf eine anhaltende, unerträgliche körperliche oder psychische Qual beruft, die nicht gelindert werden kann. So sieht es das Gesetz seit 2002 vor. Seit 2014 können auch Minderjährige dieses Recht für sich in Anspruch nehmen.

Geht es nach den flämischen Liberalen, soll künftig jeder ältere Mensch ein Recht auf aktive Sterbehilfe haben, wenn er sein Leben als beendet ansieht. Schon der Wunsch, nicht mehr leben zu wollen, würde also ausreichen.

Belgien zählt mit den Niederlanden, der Schweiz, Kanada und Australien zu jenen Ländern, die sich beim Thema Sterbehilfe bisher am weitesten vorgewagt haben. In Österreich ist aktive Sterbehilfe wie in den meisten anderen Staaten verboten. Erlaubt ist nur die Sterbebegleitung, also etwa der Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen. Aber die Debatte wird längst auch hier geführt.

Die souveräne Verfügungsgewalt über das eigene Leben erscheint vielen Menschen als logischer nächster Schritt in der langen Geschichte der Selbstermächtigung des Einzelnen im Lauf der säkularen Moderne. Dass irgendjemand anderer, und sei es ein Gott, Anspruch auf dieses Leben und insbesondere sein Ende erheben könnte, ist aus diesem Blickwinkel ein abstruser Gedanke. Vor allem Christentum, Islam und Judentum, die drei monotheistischen Religionen, lehnen dagegen jede Idee aktiver Sterbehilfe entschieden ab; das Leben ist in ihren Augen heilig, selbst wenn es Einzelne gar nicht wollen.

Hier verläuft die Front in einem neuen Kulturkampf. Und er wird an Schärfe gewinnen. Dafür sorgen allein schon die Statistiken, die von unserer alternden und zunehmend sozial isolierten Gesellschaft erzählen. Wer Angst hat, mit den Lasten und Qualen eines pflegebedürftigen Lebens allein gelassen zu werden, der wird mit großer Sicherheit auch das darauffolgende Sterben mit anderen Augen betrachten.

Eine wirklich humane Gesellschaft sollte alle ihre Energie dafür investieren, das Leben möglichst lebenswert zu gestalten; dazu gehört auch der letzte Abschnitt: das Sterben. Die Finanzierung und der Aufbau einer flächendeckenden Infrastruktur für die verschiedenen Phasen der Pflege, wozu auch eine umfassende palliativmedizinische Betreuung gehört, sind zweifellos für die Politik wie die Gesellschaft unendlich mühsam und aufreibend. Womöglich würden wir uns aber dadurch wenigstens eine Debatte über die Sterbehilfe in ihren ärgsten Auswüchsen ersparen.