Österreich ist ab 1. Juli mit 350 Soldaten bei der EU-Eingreiftruppe beteiligt und für die Logistik zuständig.
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Würzburg. Es sind dies Sätze, die man aus dem Mund deutscher Soldaten eher selten zu hören bekommt. "Wir sind auf unsere Mission gut vorbereitet, deshalb wollen wir endlich in den Einsatz gehen", erklärt Vier-Sterne-General Markus Bentler, während im Hintergrund Folien mit Organogrammen, Landkarten und Truppenbezeichnungen über die Leinwand flimmern. Der Kinosaal der Kaserne Wildflecken im gleichnamigen Truppenübungsplatz unweit von Würzburg ist an diesem kühlen und nebeligen Morgen gut gefüllt. Es sind mehrere Dutzend hohe Militärs aus fünf europäischen Staaten, die für eine halbe Stunde dem mäßigen Englisch des neuen Oberbefehlshabers der EU-Eingreiftruppe "Battlegroup II/2012" folgen - darunter sein österreichischer Stellvertreter im Stab, Karl Pronhagl. Als Gasthörer aus Wien eingeflogen ist Generalstabschef Othmar Commenda.
Insgesamt 3000 Mann fasst die Kampfgruppe, deren Führung in den Höhen Unterfrankens derzeit unter dem Codenamen "European Endeavour" die Einsatzszenarien probt. Und Bentler weiß, wovon er redet. So müssen etwa alle Truppenteile binnen fünf Tagen voll einsatzbereit sein. Auch verhehlt er nicht, dass die Mannschaft, darunter auch 350 Soldaten aus Österreich, bis Auslaufen des sechsmonatigen Mandats im Dezember täglich in den Kampfeinsatz nach Nordafrika, Asien oder in den Nahen Osten entsandt werden könnten. Allein von diesem Recht Gebrauch gemacht hat die EU seit der Schaffung der Battlegroup vor sieben Jahren noch nie. Die Offiziere selbst sind darüber nicht erfreut, wenngleich sie sich mit Kritik zurückhalten. "Ich will der Politik keine Ratschläge geben", betont unter anderem der deutsche Admiral Markus Krause-Traudes im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Sie soll aber wissen, dass wir für einen Ernstfall gut gerüstet sind." Genauso wie die Deutschen können es auch die Österreicher im Camp kaum erwarten, ins Ausland geschickt zu werden. "Es ist meist immer besser, wenn es keinen Einsatz gibt, aber ich würde mich auch freuen, wenn es doch einmal losginge", sagt Pronhagl. Über die Hintergründe, warum die EU zuletzt stets gezögert hat, den Einsatzbefehl zu geben, will der Brigadier nicht spekulieren. Es sei aber verständlich, dass sich manche Verteidigungsminister davor fürchten, alle paar Wochen den Sarg eines Gefallenen in Empfang nehmen zu müssen.
Bundesheer stellt Logistik
Weswegen in den bisherigen Battlegroups mögliche Einsatzszenarien zwar geübt wurden, scharf geschossen wurde aber mangels eines Befehls aus Brüssel aber nie. Ein Einsatz der EU-Eingreiftruppe zuletzt ernsthaft in Erwägung gezogen wurde im Frühjahr 2010 - in Libyen. Damals waren österreichische Soldaten das erste Mal an einer Battlegroup beteiligt - und hätten wohl in Tripolis einziehen müssen, wenn die EU den Einsatz nicht doch noch abgesagt hätte.
Danach, ob und wie sich das alles mit der Neutralität Österreichs verträgt, fragt in Wildflecken niemand. Österreicher würden ohnehin nicht kämpfen, sondern als sogenannte "Lead Nation" lediglich den Nachschub und die logistische Versorgung der Truppen sicher stellen, heißt es beim Mittagessen im "Offizierskasino". Österreich ist bei dieser Übung mit 32 Führungskräften und Logistikern vertreten. Um mögliche Einsatzszenarien im Ausland unter möglichst realen Bedingungen "nachspielen" zu können, wurde dafür das gesamte Kasernenareal in eine Zeltstadt mit Einsatzzentralen und Logistikzentrum - versehen mit bewaffneten Wachposten und einem komplizierten Ausweissystem - verwandelt.
Zukunft gehört Battlegroups
Was in Wildflecken fehlt, sind die eigentlichen Truppen. Diese existieren bei "European Endeavour" nur virtuell - im Computer. Demnach gleicht auch das Hauptquartier von General Bentler der Bodenstation der Nasa in Austin/Texas. Dutzende Soldaten tun hier den ganzen Tag vor Bildschirmen Dienst, sie telefonieren und geben aktuelle Lagemeldungen an ihre Vorgesetzten durch. Um das Szenario möglichst realistisch zu halten, haben Experten am Reißbrett das fiktive Krisenland "Fontanalis", das geografisch in der kanadischen Provinz Nova Scotia angesiedelt ist, entworfen. Die Szenarien, auf die die Kommandeure reagieren müssen, reichen von gewaltsamen Demonstrationen über Naturkatastrophen bis hin zum Ausbruch von Seuchen in einem fiktiven Flüchtlingslager.
Karl Pronhagl ist mit der Leistung der österreichischen Offiziere zufrieden. "Wir haben hier gezeigt, dass wir kompetent und flexibel sind", wird er am Ende des Tages zu Admiral Krause-Traudes sagen. Die Frage, ob ein österreichisches Berufsheer noch bessere Ergebnisse liefern würde, wollten die beiden Herren nicht wirklich beantworten. Genauso wenig Generalstabschef Commenda. Er ist aber immerhin mit dem, was er in Wildflecken gesehen hat, zufrieden. "Wir zeigen der Politik, was wir im Bereich friedenserhaltender Einsätze und bei der Katastrophenhilfe tatsächlich leisten können", sagt der Offizier vorm Rückflug nach Wien. Seine Meinung, dass die herkömmliche Landesverteidigung ausgedient habe und die Zukunft des Heeres Einheiten wie den Battlegroups gehöre, halte er aufrecht. Dass die Politik zögert, Soldaten ins Ausland zu entsenden, hält Commenda für kein Unglück. "Man kann ja auch beim Üben Erfahrung sammeln." Und: "Ein Einsatz, der nicht stattgefunden hat, ist ein guter Einsatz."