Katalonien & Co: Der Kampf um das Recht auf Sezession vom Nationalstaat ist fast immer vor allem ein Kampf um sehr viel Geld.
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Dass Österreicher, die auf ein paar Tage Urlaub nach Venedig fahren, dabei nicht mehr nach Italien reisen, sondern die souveräne "Republik Venedig" besuchen, wird wohl für die überschaubare Zukunft eher ein Wunschtraum der dortigen, gelegentlich leicht schrulligen Separatisten bleiben. Aber nicht nur von ihnen. Immerhin haben sich in der Lombardei und in Venetien voriges Wochenende mehr als 90 Prozent in einem rechtlich nicht bindenden Referendum für eine völlige Autonomie dieser Regionen ausgesprochen; und zwar einschließlich dem Recht, über die in der jeweiligen Region eingenommenen Steuern selbst verfügen zu können. Wirtschaftlich käme das der Sezession von Italien recht nahe.
In der Diskussion darüber, wie legitim die Forderung von Regionen wie Flandern, Baskenland, Korsika, Norditalien oder Katalonien nach Unabhängigkeit ist, herrscht bei allen beteiligten Parteien mittlerweile ein erhebliches Maß an Scheinheiligkeit und doppelbödiger Argumentation vor. So pochen die jeweiligen Separatisten stets auf das Recht auf Selbstbestimmung der Völker. Ganz grundsätzlich ist das in Ordnung: Wenn die Katalonen mehrheitlich einen eigenen Staat wollen, steht ihnen das in einer liberalen Demokratie auch zu.
Es fällt freilich auf, dass der Wunsch nach Sezession fast immer dort entsteht, wo eine wohlhabende Gegend es satthat, quasi der Bankomat einer wenig effizienten Zentralregierung zu sein und weniger erfolgreiche Regionen innerhalb des Staates alimentieren zu müssen.
Das gilt für Katalanen genauso wie für Flandern, die Öl-Macht Schottland oder das tüchtige Norditalien (30 Prozent der italienischen Wirtschaftsleistung). Nie hingegen ist zu beobachten, dass ärmere Gebiete einer Nation, die vom Zentralstaat subventioniert werden, plötzlich ihr Streben nach Autonomie entdecken. It’ the economy, stupid!
Das Gleiche gilt übrigens ganz umgekehrt auch für die Nationalstaaten, die eisern ihre territoriale Unversehrtheit verteidigen. Die Regierung in Madrid etwa verweist beständig darauf, dass eine Unabhängigkeit Kataloniens oder des Baskenlandes mit der spanischen Verfassung unvereinbar sei, die eine Sezession klar untersage. Rechtlich stimmt das, es unterschlägt aber den Umstand, dass der spanische Staat ohne Katalonien ziemlich schnell ziemlich pleite wäre. Denn dort werden 20 Prozent der spanischen Wirtschaftsleistung samt entsprechenden Steuern erwirtschaftet. Bleiben die aus, kann der Finanzminister in Madrid gleich zum Konkursrichter gehen. Und hauen die Katalanen ab, ohne einen Teil der spanischen Staatsschulden zu übernehmen, schnellt der Schuldenberg Restspaniens über Nacht von derzeit rund 100 auf 125 Prozent des BIP hoch.
Nicht weniger doppelbödig ist die Unterstützung der EU (heißt: der Mitgliedstaaten) für die harte Linie Madrids gegenüber den Katalanen. Dies sei "eine innere Angelegenheit", heißt es da kühl aus Brüssel.
Doch nicht der Respekt vor "inneren Angelegenheiten" ist wohl das Motiv, sondern die Angst der EU-Staaten, der Fall Katalonien könnte zu einem Präjudiz für weitere Sezessionen in halb Europa werden.
All das ist ja auch legitim. Es ist nur etwas unehrlich, nicht klar auszusprechen, worum es wirklich geht.