Je nachdem, ob die Freiheit des Einzelnen oder eine visionäre Friedenspolitik (Entmilitarisierung) im Vordergrund stehen, gibt es innerhalb dieser beiden Positionen gute Gründe für und gegen die Wehrpflicht oder ein Berufsheer.
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Pazifismus heißt Absage an das Militär und an jeden Krieg. "Nie wieder Krieg", hieß es nach 1945. Für den deutschen Wissenschafter Wolf-Dieter Narr gibt es nicht "mehrere Pazifismen verschiedener Prozente". Es gibt nur einen Pazifismus, und der verträgt sich nicht mit gewaltgestützter Interessendurchsetzung. Geht man von dieser radikalen Pazifismusdefinition aus, dann ist die Beendigung der Wehrpflicht die beste Lösung für einen Staatsbürger, der von der pazifistischen Idee der Freiheit von jedem Zwang erfüllt ist.
Komplexer ist die Sicht einer visionären Friedensforschung und Friedenspolitik, die weltweit Entmilitarisierung anstrebt, womit der Kampf gegen Militarismus, Rüstungswahnsinn und völkerrechtswidrige Kriegsführung verbunden ist. Eine solch visionäre Zielsetzung schließt jedoch realpolitische Zusammenarbeit nicht aus. Denn Politik ist ein Spiel der Macht für unterschiedliche Ziele, Werte und Interessen mit diversen Instrumenten, die alle dem Wandel der Zeit unterliegen. Auch die heftige und teils polemische Wehrpflichtdiskussion ist Beispiel eines solchen Ziel- und Interessenkonfliktes.
Welche Wehrstruktur fördert oder behindert die friedenspolitische Zielsetzung? Es ist das historische Verdienst der EU, dass ihre Mitglieder Interessengegensätze nicht mehr militärisch, sondern politisch austragen. Die Internationale Staatengemeinschaft ist aber trotz UNO erst in einem Übergang von einem anarchischen Natur- zu einem Rechtszustand. Auch die EU-Realpolitik hält sich nicht an ihren wertorientierten Friedens- und Sicherheitsanspruch. Im Gegenteil: Die EU-Großmächte wollen sich so wie Nato und USA weiter die Möglichkeit offen halten, völkerrechtswidrige Interessenkriege (ohne UN-Mandat) zu führen, wenn es um Rohstoff- und Energiesicherheit, wirtschaftliche oder geopolitische Interessen geht, und eine europäischen Militärmacht aufbauen.
Angriffskriege stehen im Widerspruch zum Völkerrecht. Das größte Hindernis für militärische Interventionen ist die fehlende Zustimmung der Bevölkerung. So lehnen zwei Drittel der Deutschen den weiteren Afghanistan-Einsatz ab. Geht man davon aus, dass ein Berufsheer demokratiepolitisch leichter für Kriegsführung einsetzbar ist, wäre dies ein friedenspolitisches Argument dagegen.
Österreich ist militärisch von seinen Nachbarn, mit denen es kooperiert, nicht bedroht. Die Neutralität ist durch den Vertrag von Amsterdam eingeschränkt. Österreich und die neutralen Staaten haben jedoch aufgrund des EU-Vertrags (irische Klausel) das Recht, die Teilnahme an völkerrechtswidrigen Kriegen zu verweigern, und sollten dies auch tun. Erst wenn die EU beschließt, keine Militär-Interventionen ohne UN-Mandat durchzuführen, wäre die österreichische Neutralität zu vergessen.
Gerald Mader ist Präsident des Österreichischen Studienzentrums für Frieden und Konfliktlösung (ÖSFK).