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Weichspüler auf Dauerrotation

Von Klaus Stimeder

Politik

Der zweite Tag der Republican Convention folgte inhaltlich wie dramaturgisch dem Format jener Art von Reality-TV-Show, die Donald Trump einst groß machte – bis zum Erbrechen.


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Weltverschwörungstheorien gehören zur modernen republikanischen Partei wie die Faust aufs Auge, und das nicht erst seit gestern. In den bisherigen Partei-internen Vorwahlen für die bei der Wahl am 3. November zu vergebenden Sitze im Kongress setzten sich entsprechend gleich mehrere Kandidaten durch, die sich der Basis offen als Anhänger der in den vergangenen Jahren extrem populär gewordenen "QAnon"-Verschwörungstheorie  präsentierten. QAnon zufolge wird die Welt von einem geheimen Bund von Demokraten regiert, die dem Leibhaftigen huldigen und globalen Handel mit Kindern treiben, die sie an Pädophile verkaufen. Der einzige, der diesen dunklen Mächten laut den Q-Gläubigen im Weg steht: Donald Trump. Nämlicher hatte kurz vor der Convention behauptet, dass er "nicht viel über QAnon weiß", nur, "dass mich diese Leute sehr mögen". Den Beweis für letztere These hätte im Laufe des zweiten Convention-Abends eine Rednerin namens Mary Ann Mendoza anführen sollen.

Hätte, weil ihr Auftritt vor Beginn der Liveübertragung von den Organisatoren des Republican National Comittee (RNC) buchstäblich in letzter Sekunde abgesagt wurde. Vier Stunden vor ihrem geplanten Auftritt hatte die Hausfrau aus Arizona, die bei einem Autounfall 2014 ihren Sohn verlor – der Fahrer, ein illegaler Einwanderer, war zum Tatzeitpunkt betrunken – ihre 40.000 Twitter-Follower aufgefordert, "sich einen Gefallen zu tun und folgenden Thread zu lesen". In dem von Mendoza gehypten Thread wurde unter anderem behauptet, dass "die jüdischen Rotschild-Banker" einen perfiden Plan verfolgen würden, "alle Nicht-Juden gegeneinander aufzuhetzen", um sie anschließend "all ihres Hab und Guts zu berauben." Damit nicht genug, "rieche Barack Obamas Haus in Washington nach Schwefel" und Hillary Clinton sei eine "Hohe Priesterin des Teufels". Und so weiter, und so fort. Angst, mit derlei Ansichten außerhalb des Mainstreams der Republikanischen Partei im Zeitalter des real existierenden Trumpismus zu stehen – soviel war bereits an Tag eins des Parteikonvents klar geworden – muss Frau Mendoza deshalb nicht.

Nachdem das Online-Medium "Daily Beast" als erstes über den von ihr verbreiteten Irrsinn berichtet hatte, zogen die RNC-Verantwortlichen trotzdem die Notbremse und strichen sie kurzerhand von der Rednerliste. Warum, wurde im Laufe des Abends zunehmends klarer. Nach den teils bizarren Auftritten des ersten Tages, an dem unter anderem Ex-Fox-News-Star Kimberly Guilfoyle und ihr Freund Donald Trump jr., dafür sorgten, dass im Anschluss an ihre Reden landesweit Hashtags wie #Cocaine und #CokedOut die sozialen Medien dominierten, hatten die Parteitags-Regisseure (allesamt eigens für diesen Zweck angeheuerte Veteranen von Trumps Reality-Show "The Apprentice") für den zweiten den Weichspüler angeworfen.

Trump erzählt Geschichten

Begrüßungsworten einer Pastorin der "International Church of Las Vegas", die den lieben Gott und seinen Sohn Jesus anrief, den Präsidenten und seine Administration "auf ihrem weiteren Weg zur Großartigkeit" zu segnen, folgte der Auftritt von Myron Lizer. Der Vizepräsident der Navajo Nation lud Trump in sein Reservat ein und lobte den Präsidenten für dessen Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus. Die Frage nach dem Warum blieb unbeantwortet, wiewohl ausnahmslos alle Statistiken belegen, dass amerikanische Ureinwohner überproportional zu den Opfern von Covid-19 gehören. Im Anschluss war Trump, das erste aber bei weitem nicht das letzte Mal an diesem Abend, persönlich dran.

Der 74-jährige tat, was er am besten kann: Geschichten erzählen. Gegenstand seiner ersten Erzählung war ein Afroamerikaner aus Nevada namens John Ponders, der bis in seine Dreißiger mehrmals mit dem Gesetz in Konflikt geraten war, aber dank eines religiösen Erweckungserlebnisses und der Freundschaft mit einem Ex-FBI-Agenten auf den rechten Weg fand. Als Dank unterstütze er jetzt Trump, der ihm dafür nach bewährter Manier eine offizielle Begnadigung zukommen ließ, die er live unterschrieb. Als nächstes durfte der erste namhafte Politiker des Abends seine Wortspende abgeben.

Rand Paul, Senator von Kentucky und vor vier Jahren noch einer der lautesten Kritiker Trumps ("Ein orange-gesichtiger Windbeutel", "Jeder Schmutzfleck ist qualifizierter als er"), gehört heute laut eigener Aussage zu dessen "größten Fans": "Ich bin stolz auf Donald Trump, mit dem ich viel mehr Dinge gemeinsam habe, als uns trennen." Im Gegensatz zu seinem Freund im Weißen Haus werde der demokratische Kandidat Joe Biden "neue Kriege anzetteln, wie er es schon in der Vergangenheit getan hat". Um die USA vor dem Zugriff der "Sozialisten" zu bewahren, die laut Paul – wörtlich – "unsere Schulen vergiften und unsere Städte zerstören", gebe es zur Wiederwahl des Präsidenten keine Alternative. Im Anschluss durfte sich ein Hummer-Fischer aus Maine über die "Strafzölle" der Europäischen Union mokieren und seiner Angst Ausdruck verleihen, dass unter einer Biden-Präsidentschaft "radikale Umweltaktivisten" die Gesetze schreiben würden.

Lob für (Land-)Wirtschaftspolitik

Quasi beim Thema bleibend und umrahmt von einem entsprechenden Begleitvideo, durfte dann Cris Peterson, millionenschwere Großbäuerin aus Wisconsin, Trump für seine Landwirtschafts-Politik loben. Was man ihr wie zehntausenden anderen Bauern im Mittleren Westen und Süden kaum übel nehmen kann: Seit seinem Amtsantritt überschüttet das Weiße Haus die dort ansässigen Farmer mit fast ausschließlich in küstennahen, in der Regel demokratisch regierten Bundesstaaten erwirtschaftetem Steuergeld in zweistelliger Milliardenhöhe. In der gleichen Tonart ging es mit Larry Kudlow weiter, als Direktor des National Economic Council formal oberster Berater des Präsidenten in Wirtschaftsfragen. Bei Amtsantritt hätte Trump laut ihm "eine Wirtschaft am Rande der Rezession übernommen" und zur "großartigsten in der Geschichte des Landes gemacht". Eine angesichts der Datenlage glatte Lüge; aber nachdem sie aus dem Mund des gleichen 73-jährigen Ex-Wall-Street-Analysten und Veteranen der Reagan-Administration kam, dessen Jahrzehnte-lange, von Kokain- und Alkoholproblemen geprägte Biografie öffentlich so gut dokumentiert ist wie kaum eine andere der aktuellen Administrations-Mitglieder, nicht weiter verwunderlich. Als nächster durfte der Inhaber einer Metall verarbeitenden Firma aus dem "Swing State" Wisconsin über Joe Biden schimpfen, der laut ihm eine "herunter gekommene Marionette der radikalen Linken sei." Für den Übergang zum nächsten Thema des Abends, der Rolle der – exklusiv christlichen – Religion in den USA im 21. Jahrhundert, sorgte Cissie Graham Lynch.

Warnung vor "radikalen Umweltaktivisten"

Die Enkelin des legendären Pastors Billy Graham (1918-2018), einem der Wegbereiter der politischen Instrumentalisierung Jesus-gläubiger Amerikaner aller Schattierungen durch die Konservativen, beschuldigte die Demokraten unter anderem wörtlich, "Mädchen zu zwingen, Abtreibungspillen zu nehmen und gemeinsam mit Jungs zu duschen". Im Anschluss durfte der Bürgermeister einer Kleinstadt in Minnesota, nach eigenen Angaben ein "lebenslanger Demokrat" wieder auf die angeblich drohende Gefahr durch "radikale Umweltaktivisten wie AOC" (Alexandria Ocasio-Cortez) hinweisen, deren Politik eine "Jobs killende Schande" sei.

Seiner Botschaft folgte die von Abby Johnson, die in den Nullerjahren für die Non-Profit-Organisation Planned Parenthood arbeitete, die vor allem Minderheiten bei der Familienplanung hilft und heute die Geschäfte der von der Trump-Administration mit großzügigen Subventionen bedachte NPO "And then there were none" führt. Vor einem Live-Publikum von Millionen Amerikanern durfte Johnson ihre – wie unter anderem das renommierte Magazin "Texas Monthly" in der Vergangenheit nachwies, weitgehend frei erfundene – Lebensgeschichte nacherzählen, die sie von der Abtreibungsbefürworterin zur -gegnerin machte. Sukkus: Donald Trump habe als Präsident mehr für Abtreibungsgegner getan als jeder andere vor ihm, weshalb "jeder gute Christ" verpflichtet sei, "ihm wieder seine Stimme zu geben". Ein Fortschritt insofern, als Trump im Wahlkampf 2016 noch darauf bestanden hatte, dass jede Frau, die abtreibt, "in irgendeiner Form bestraft werden muss"; eine Forderung, die heute selbst von Leuten wie Johnson offenbar weitgehend vergessen wird. Ihrem Auftritt folgte der des 18-jährigen Nicholas Sandmann.

Der Absolvent der elitären Covington Catholic High School in Kentucky, der sich im Jänner 2019, bemützt mit einem "MAGA" ("Make America Great Again")-Baseballcap made in China, nach der Teilnahme an einer Anti-Abtreibungs-Demo mit einem Ureinwohner auf den Stufen des Lincoln Memorial einen Anstarr-Wettbewerb geliefert hatte – das Video der Auseinandersetzung hatte im Anschluss im Internet seine Runden gemacht – präsentierte sich als "Opfer" der angeblichen Macht "professioneller Demonstranten und Agitatoren". Laut Sandmann habe er, der unschuldig unter die Räder der "Kriegsmaschine der Mainstream-Medien mit ihren anti-christlichen, anti-konservativen und Anti-Trump-Botschaften" gekommen sei, seine Lektion gelernt und die heiße: Trump wählen, weil der Präsident "das größte Opfer" ebendieser Maschine sei. Im Vergleich zu seiner Nachrednerin zumindest eine kohärente Botschaft, denn was Pam Bondi im Anschluss präsentierte, war MAGA-Propaganda pur.

Die Ex-Generalstaatsanwältin von Florida, die nach dem Empfang großzügiger Wahlkampfspenden durch Trump unter anderem verhinderte, dass gegen ihn ebendort eine Sammelklage ehemaliger Studenten der mittlerweile zugesperrten Fake-Universität "Trump University" erhoben werden kann, wiederholte jeden einzelnen der so hinlänglich bekannten wie bisher ausnahmslos widerlegten Vorwürfe an Joe Bidens Sohn Hunter, sich während seiner Funktion als Vorstandsmitglied des ukrainischen Energie-Konzerns Burisma (2014-2019) durch korrupte Praktiken bereichert zu haben. Als nächstes war wieder ein waschechtes Familienmitglied dran.

Motto: "Family first"

Tiffany Trump, Tochter aus Trumps zweiter Ehe und frisch gebackene Absolventin eines Jus-Studiums der Georgetown University, überraschte mit der gewagten These, dass "jeder Zuschauer", selbst jene, die ihren Vater nicht wählen würden, "ein Trump-Wähler ist, auch wenn du das gar nicht weißt". Ihrer Logik zufolge seien lediglich die keine, die der "Manipulation durch die Medien" und deren "System der Missinformation" erlegen seien; was kein Wunder sei, weil nämliches "die Menschen versklave". Darüber hinaus sei ihr Vater der Kandidat, dessen Motto Zeit seines Lebens "Family First" gewesen sei "und bis heute ist". Eine angesichts von drei Ehen, unzähligen, allesamt gerichtlich dokumentierten Streitereien um finanzielle Ansprüche seiner Ex-Frauen, gelinde formuliert, interessante These. Einer darauf folgenden Danksagung von Kim Reynolds, der republikanischen Gouverneurin des jüngst von einer Naturkatastrophe heimgesuchten Bundesstaats Iowa, folgte ein Video, in dem Vizepräsident Mike Pence Menschen präsentieren durfte, deren Geschichten Donald Trump in den dreieinhalb Jahren seiner Amtszeit irgendwann einmal im Fernsehen sah und sich daraufhin entschloss, ihnen mittels persönlicher Intervention zu helfen.

Die Bandbreite reichte von unheilbar kranken Kindern über Inhaber von ländlichen Kleinstfirmen bis zu Polizisten, die mit den Auswirkungen der Drogenprobleme ihrer Kundschaft zu kämpfen haben. (Alle diese Menschen leben so ausschließlich wie rein zufällig in Bundesstaaten, die Trump für seine Wiederwahl unbedingt gewinnen muss.) Der Rede von Jeanette Nunez, der kubanisch-stämmigen Vizegouverneurin von Florida, die auf die gleichen Knöpfe drückte wie alle kubanisch-stämmigen Fürsprecher des Präsidenten tags zuvor ("Die Demokraten normalisieren den Sozialismus") folgte ein weiterer Auftritt von Trump selbst.

Der Präsident wohnte einer sogenannten "Naturalization"-Zeremonie bei, im Rahmen derer sich ein Mitarbeiter des Department of Homeland Security für dessen angebliche "Wiederherstellung der Integrität des Immigrationssystems" bedankte, nachdem er fünf handverlesene, so schmerz- wie von jeder Würde befreiten Ausländern zu Bürgern des "großartigsten Landes der Welt" gemacht hatte. Eine angesichts der so nachweislich dysfunktionalen wie offen rassistischen Einwanderungspolitik der Trump-Administration, die in der Realität beim besten Willen nur als grausam beschrieben werden kann, extremst zynische Scharade. Den Abschluss von Tag zwei der Convention durften wieder Familienmitglieder bestreiten, echte wie falsche.

Garant gegen Kürzung des Budgets für Landesverteidigung

Eric Trump, jüngster Spross aus Donald Trumps erster Ehe und aktueller Geschäftsführer der wegen zahlreicher Verstöße gegen Recht und Gesetz ins Visier der New Yorker Staatsanwaltschaft geratenen Trump Organization, wandte sich einmal mehr an die dieser Tage so viel zitierten wie angeblich "vergessenen Männer und Frauen", die seinem Vater seine erste Amtszeit ermöglicht hätten und für deren Interessen dieser angeblich "Tag und Nacht arbeite". (Laut "Washington Post" verbrachte Donald Trump insgesamt ein Jahr seiner dreieinhalbjährigen Amtszeit auf dem Golfplatz.) Nur sein Vater sei der Garant dafür, dass die laut Eric Trump 721 Milliarden Dollar, die die USA jährlich in die Landesverteidigung stecken (die reale Ziffer dürfte höher liegen, aber manche Teile des Pentagon-Budgets sind geheim), nicht gekürzt würden. Darüber hinaus vermisse er den Papa, "der sich für nichts entschuldigen muss, jeden Tag".

Dem so kurzen wie vernachlässigbaren Einwurf von Daniel Cameron, als oberster Staatsanwalt Kentuckys der jüngste Inbegriff von Mitch McConnells kosmetischen Maßnahmen, eine durch die Bank von alten weißen Männern dominierte Partei als jung und vielfältig zu verkaufen, folgte der Auftritt des live aus Israel zugeschalteten Außenministers Mike Pompeo.

Außenminister und First Lady am Ende des zweiten Tages

Im Rahmen seiner Rede – die an diesem Abend die x-te Verletzung des Hatch Act von 1939 darstellte, der Amtsträgern der Bundesregierung dezidiert verbietet, in ihrer offiziellen Funktion Parteiarbeit zu treiben – bewies auch der langjährige Provinzpolitiker aus Kansas eindrucksvoller als je zuvor, dass Recht und Gesetz für ihn und die Administration seines Herrn schlicht nicht gelten. Inhaltlich erkannte Pompeo die Tatsache an, dass Trumps Außenpolitik im Rest der der Welt nicht sonderlich populär sei, aber: "Sie wirkt". Den zweiten Tag der Convention abzuschließen blieb Donald Trumps Frau Melania vorbehalten.

Wie im Vorfeld aus Gründen, die einzig amerikanischen Fernsehjournalisten klar sind, bis zum Erbrechen berichet, hatte sich die aus Slowenien stammende First Lady in den vergangenen Monaten allem voran des Re-Arrangements des Rosengartens im Weißen Haus gewidmet. Die unbeholfene Art, mit der Frau Trump ihre Botschaft ebendort vom Teleprompter ablas – sonst eine Kritik, die Republikaner nicht müde werden, an ihren Gegnern zu kritisieren – vermochte kaum von deren bemerkenswerten Substanzlosigkeit abzulenken. Laut der 50-Jährigen, die für ihre amerikanische Staatsbürgerschaft "hart gearbeitet" habe, werde ihr Mann "nicht ruhen, bis eine Impfung für das Coronavirus gefunden ist". Ihrer Meinung nach sei der Hauptgrund, warum er vier weitere Jahre im Amt verdiene, aber ein einfacher: "Seine totale Ehrlichkeit."