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Bei Binnen-I und Gender-Gap geht es nicht nur um die Schreibweise, sondern auch um soziale Beziehungen und Machtverhältnisse.
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Das Gendern - also die gendergerechte oder genderfaire Sprache - steht seit einiger Zeit wieder im Mittelpunkt der öffentlichen Wahrnehmung und Debatte. Das ist zu begrüßen, besonders aus feministischer Sicht. Denn genau solche Diskussionen auszulösen, ist schließlich ein wichtiger Zweck des Genderns.
Ob "WissenschafterInnen", "Wissenschafter/innen" oder "Wissenschafter(innen)": Jede dieser Schreibweisen lenkt den Blick darauf, ob und wie stark Frauen vertreten beziehungsweise von Berufen oder Positionen ausgeschlossen wurden und werden. Damit wird über Sprache auf Machtstrukturen hingewiesen und gegen (sprachlichen) Sexismus protestiert. Das Binnen-I war daher ein wichtiger Erfolg der feministischen Bewegung in ihrem Ringen um Gleichberechtigung, Menschenwürde und Selbstbestimmung von Frauen.
Da die Welt nicht nur fein säuberlich in heterosexuelle Männlein und Weiblein geteilt werden kann und sollte, forderten die Gender- und Queer-Studies in weiterer Folge auch sprachliche Darstellungsformen für alle Geschlechter: Die Schreibweisen "Wissenschafter_innen" oder "Wissenschafter*innen" wären Lösungen, um darauf aufmerksam zu machen, dass nicht alle Menschen heterosexuelle Beziehungen führen beziehungsweise das biologische Geschlecht nicht unbedingt der sozial konstruierten Kategorie entsprechen muss (was ja seit dem Song Contest ohnehin zum österreichischen Allgemeinwissen zählt).
Eine genderneutrale und -faire Sprache sollte also die verschiedenen Genderidentitäten gleichberechtigt ansprechen. Dies lässt Normen und Diskriminierungsformen (Sexismus, Heteronormativität und Cisnormativität) klarer sichtbar werden und soll für Diskriminierung auf verschiedenen Ebenen sensibilisieren.
Denn nein, es ist nicht nur Sprache: Sprache beeinflusst das Denken und in späterer Folge das soziale Handeln. Das heißt nicht, dass Sprache unser Denken vollständig determiniert, wie dies die frühe Sapir-Whorf-Hypothese besagte. Das wäre schon deswegen unmöglich, weil jede Person zu mehreren sozialen Gruppen gehört und die jeweilige "Gruppensprache" spricht - ob am Stammtisch, im Beruf oder in der Familie, der Schnabel ist überall anders gewachsen. In jeder dieser sozialen Gruppen beeinflusst jedoch sozialer Druck die Art der Sprache. Damit verweist Sprache immer auch auf die Herstellung und Aufrechterhaltung von sozialen Beziehungen und Machtverhältnissen.
Über gendergerechte und genderfaire Sprache kann auf solche momentanen Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern hingewiesen werden. Und gleichzeitig sorgt das Gendern für Diskussionen im Tennisklub ebenso wie am Stammtisch und im Beruf, vor allem aber in der Politik.
Das generische Maskulinum - der Wissenschafter - hinterfragt nichts, löst keine Diskussionen aus und weist nicht auf Machtverhältnisse hin. Natürlich ist er lesbarer. Doch einmal ganz ehrlich: Wenn es nur um die Lesbarkeit ginge, dann könnte man doch das generische Femininum einführen. Das hat übrigens die Universität Leipzig 2013 getan, wütende Proteste waren die Folge. Auch eine Möglichkeit, für Diskussionen zu sorgen.