Vertrauensverlust in Medien? Warum die Redaktion der "Wiener Zeitung" andere Erfahrungen gemacht hat. Vielleicht.
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Die Medien. Das ist wie: die Politik. In solchen Verallgemeinerungen steckt immer auch eine implizite Zuschreibung, die selten freundlich gemeint ist. In Befragungen zum Vertrauen der Bevölkerung in Institutionen schneiden Medien und Politik, also die Medien und die die Politik, verlässlich ganz schlecht ab. Und gewiss haben auch Sie, vielleicht sogar in dieser Zeitung, von der großen Vertrauenskrise gelesen, die Medien und Politik erfasst hat. Man glaubt uns nicht mehr und man glaubt Politikern nicht mehr. Stimmte dieser Befund, wäre das ein demokratiepolitisches Problem.
Doch die Ambivalenz der Menschen sollte nicht unterschätzt werden. Es deutet einiges darauf hin, dass verallgemeinernde, negative Zuschreibungen leichter gesagt als tatsächlich gedacht werden. Denn nach wie vor konsumiert ein hoher Anteil der Bevölkerung klassische Medien, während der Pandemie hat sogar die Nutzung der guten, alten Tageszeitung zugenommen. Auch die Wahlbeteiligung ist in Österreich noch immer hoch, und wann immer ein neues Gesicht die politische Bühne betritt, sind Österreichs Wählerinnen und Wähler mit Vorschusslorbeeren großzügig. Sieht so eine manifeste Vertrauenskrise aus?
Vielleicht ist es zielführender, von einer Phase der Irritation zu sprechen. Es hat sich im Bereich der Kommunikation, in dem sowohl Medien als auch Politik agieren, technologisch zu viel in zu kurzer Zeit verändert. Heute 40-Jährige kannten in ihrer Schulzeit noch nicht einmal Google, fünf Jahre nach dem Abschluss waren sie schon auf Facebook und kauften sich zwei weitere Jahre danach ihr erstes Smartphone und wischten sich fortan durchs Leben. Und posteten.
Das Beziehungsgerüst zwischen Politik, Medien und Bürgern war auch früher fragil, aber es war klar strukturiert. Die Veränderungen stellen nun die Rollen infrage. Politiker kommunizieren an klassischen Medien vorbei, Bürger recherchieren und berichten, Journalistinnen und Journalisten kommentieren und posten am großen virtuellen Stammtisch. All das ist nicht per se schlecht, aber es verändert die Beziehungsstränge und erschüttert das fragile Gerüst.
Im öffentlichen Fokus standen bisher vor allem die betriebswirtschaftlichen Auswirkungen dieser Zäsur für die Verlage, durch die sich in Österreich finanzielle Abhängigkeiten zwischen staatlicher Sphäre und einem ihrer Kontrollorgane herausbildeten. Das wurde zuletzt auch als Ursache für den mutmaßlichen Vertrauensverlust identifiziert. Ohne Zweifel zahlen die Auf- und Entdeckungen der letzten Zeit in jene verallgemeinernden Zuschreibungen ein, wonach die alle, Medien und Politik, unter einer Decke stecken. Die Vertrauenskrise ist aber älter als die bekanntgewordenen Handy-Chats einiger Machthaber und Machthaberer, sie ist ein globales Phänomen. Und sie berührt ein fundamentales Problem von Medien.
Wir verlangen viel von unseren Leserinnen und Zuschauern; nicht nur viel Zeit, sondern auch höchstmögliches Vertrauen. Es ist noch ein Leichtes, Überbringer schöner Botschaften zu sein. Zwar lehrt ein Sprichwort, dass etwas zu schön sein kann, um wahr zu sein, doch die Wirklichkeit zeigt, dass die Messlatte dafür sehr hoch liegt. Nachrichten, die das eigene Wertesystem streicheln, werden weitaus weniger kritisch rezipiert als Berichte, die man nicht lesen oder hören will.
Die Information aus der Schule, dass die Tochter bei einem Wettbewerb einen Preis gewonnen hat, wird freudig zur Kenntnis genommen. Tatsächlich? Fein, wir haben es immer schon gewusst! Aber wie ist es beim Anruf, dass der Sohn einen Mitschüler geschlagen hat. Was? Das kann nicht sein! Das glaub ich nicht! Er sich sicher nur gewehrt!
Es ist menschlich, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, für Medien aber ist das seit jeher ein Problem. Redaktionen müssen sich der Tatsache gewahr sein, dass bei fast jeder Meldung Teile der Konsumenten lieber eine gegenteilige Information hätten. Sie finden den Politiker, der sich gerade blamiert hat, großartig oder die Regierung, die ein vernünftiges Gesetz vorstellt, grundsätzlich furchtbar und damit auch das neue Gesetz.
Das Grundvertrauen ist unwiederbringlich weg
Die Konsequenz daraus erfahren Journalisten, indem selbst ein nüchterner Bericht angezweifelt oder ihm ein gefärbter Subtext unterstellt wird, weil die Kernaussage nicht gefällt. Früher half noch die natürliche Autorität der Presse. Doch dieses obrigkeitsgläubige Grundvertrauen ist unwiederbringlich weg. Irgendwie muss es aber substituiert werden. Die Alternative wäre "partisan journalism", also parteiische Medien wie in den USA. Das reduziert die Gefahr, etwas lesen zu müssen, das man nicht lesen will. Das sollten wir nicht wollen.
Die Lösung sagt sich leicht. Die Fakten müssen unangreifbar sein und es darf nicht der Eindruck einer tendenziösen Berichterstattung entstehen. Dieser Anspruch an seriöse Medien ist berechtigt, in den Augen vieler werden sie diesem aber nicht gerecht. Dabei ist die Recherchequalität besser geworden. Erstens ist der Zugang zu Informationen leichter als früher und zweitens hat auch eine Sensibilisierung stattgefunden. So gut wie jeder Journalist, jede Journalistin hat die Erfahrung gemacht, öffentlich auf einen Fehler oder eine fehlerhafte Interpretation hingewiesen worden zu sein. Beim nächsten Mal prüft man genauer. Sicher, nicht jeder Einwand mit Verweis auf eine Studie von Dr. Seltsam ist berechtigt.
Auf zwei Aspekte soll hier eingegangen werden, die dem hehren Anspruch entgegenstehen. Es ist nicht lange her, dass relativ große Redaktionen relativ wenige Berichte produziert haben. Heute verantworten kleiner gewordene Redaktionen immer mehr Beiträge, der Platz im WWW ist unendlich. Gefühlt passiert viel mehr als früher, doch das ist Trugschluss. Wir erfahren heute nur viel mehr.
Es war zunächst journalistisch reizvoll, mehr berichten zu können, als in eine Zeitung passt, dann aber auch ökonomisch sinnvoll, alles und noch viel mehr publizistisch abzudecken. Jeder Klick zählte, zumindest ein bisschen. Social Media bot für mehr Reichweite dann einen weiteren interessanten Hebel, wobei dort weniger die nüchterne Meldung, sondern der Spin und die starke Meinung wirkt. Langfristig und im Ganzen betrachtet, schwächte es das wichtigste Kapital von Medien: die Glaubwürdigkeit. Weil eben nicht jeder Meldung, jeder Studie und dem Gehalt jeder Aussage in der Tiefe nachgegangen werden kann. Das ist schlicht unmöglich.
Die Chimäre der niederschwelligen Information
Ein zweiter Punkt: Zeitungen, Magazine und Nachrichtensendungen sind zwar nach wie vor kuratierte Information. Jede Idee durchläuft mehrere redaktionelle Prozesse, bis sie als fertiger Bericht im Blatt oder auf Sendung landet. Doch vielfach werden Nachrichten nicht mehr (nur) so konsumiert. Die Realität ist eine Kakophonie an verkürzten Informationen auf vielen Kanälen, deren Auswahl ganz anderen Gesetzen als jenen von Redaktionssitzungen gehorcht.
Gegen einen möglichst niederschwelligen Zugang zu Informationen ist nichts zu sagen, aber in der Praxis besteht der leichte Zugang primär zur Schlagzeile, selten zur ganzen Meldung, allein aus Zeitgründen. Ein Mehr an Kurzinfos kann insgesamt ein Weniger an Informiertheit bedeuten. Das ist kein neuer Befund, er hat aber neue Maßstäbe erreicht.
Griffige Schlagzeilen gab es auch früher, sie hatten aber nie die Relevanz, die sie heute durch Vervielfältigung via Social Media erreichen. Die Politik hat gelernt, diese Realität für ihre Zwecke zu nutzen. Medien haben darauf reagiert. Sie haben Faktenchecks eingerichtet gegen Falschinfos und verstehen sich mehr denn je als Korrektiv gegen politische PR. (Dilemma: Nicht selten wird gerade diese Arbeit durch die PR der Gegenseite erst recht politisiert.)
Dass der Alltag zu einem Liveticker geworden ist, wird vom Gros der Konsumenten als unangenehm empfunden. Auch sie haben die Erfahrung gemacht, ihrem emotionalen Impuls über eine Schlagzeile gefolgt zu sein, um dann von der Meldung erleichtert oder enttäuscht zu werden, je nach subjektiver Bewertung. Medienhäuser haben ihre Geschäftsmodelle deshalb auch angepasst. Der Mut zur Lücke wird größer.
Die "Wiener Zeitung" hatte das Glück günstiger Umstände. Sie war zu klein, um in den PR-Plänen von Regierenden eine Rolle zu spielen. Die Redaktion war nicht groß genug, um das WWW zu fluten. Die Gebührenfinanzierung bedeutete, mit dem Journalismus nicht Geld verdienen zu müssen. Irgendwann war es aber auch Anspruch, dem Informationsschwall eine ostentative Ruhe und Nüchternheit entgegenzustellen.
Es hat dazu geführt, dass sich die Zuschreibungen für die "Wiener Zeitung" geändert haben. Sie war nicht mehr nur das "Amtsblatt" oder die "Staatszeitung". Das hörte man früher, in den vergangenen Jahren aber nicht mehr. Stattdessen: "Ausgewogen!", "unaufgeregt" und - ja, das auch - "angenehm fad".
Natürlich waren auch wir Teil des Newscycle, veröffentlichten Berichte, die wir besser geprüft hätten, folgten Schlagzeilen, die wenig Fundament hatten, und saßen dem einen oder anderen Spin auf. Es ist dennoch gelungen, eine Glaubwürdigkeit zu erarbeiten, die einer "Regierungszeitung" nicht zwingend entgegengebracht werden muss. Es wäre reizvoll gewesen, hätte diese Redaktion die Chance erhalten, ihren journalistischen Zugang mit einem privaten Herausgeber fortzuführen, vielleicht sogar noch radikaler: Radikal ausgewogen. Ob es, in Zeiten wie diesen, ökonomisch funktioniert hätte?
Diesen Artikel finden Sie in Printform - ein letztes Mal - am 30. Juni in Ihrer "Wiener Zeitung".