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"Weil Tschuschen seid’s eh"

Von Stefan Beig

Politik
Mit der Tschuschenkapelle hat sich Slavko Ninić fest im Wiener Musikleben etabliert.
© © Stanislav Jenis

Slavko Ninić ist ein Urgestein unter den Wiener Ethnomusikern.


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Wien. Festivals wie "Soho in Ottakring" oder "Balkan Fever" belegen: Die multikulturelle Musikszene ist aus Wien nicht mehr wegzudenken. Doch schon bevor der Hype begann, konnte Slavko Ninić vor mehr als 20 Jahren einen Platz im kulturellen Leben Wiens erobern, den er bis heute innehat. Er ist der Gründer und Bandleader der Wiener Tschuschenkapelle, die erstmals die Musik der "Gastarbeiter" vom Rand ins Zentrum der heimischen Kunstszene geholt hat.

"Die Gastarbeiter haben zwar damals musiziert, aber nur in den eigenen vier Wänden: die Jugos in ihren Clubs, die Türken in den Cafés und die Griechen in ihren Tavernen", erzählt Ninić. Das änderte sich mit der Gründung der Tschuschenkapelle im Jahr 1989. "Wir punkteten am meisten bei den Österreichern. In den Gastarbeiter-Kreisen waren wir in den ersten fünf Jahren hingegen ziemlich unbekannt." Damals habe es in der Community auch noch nicht so viele Künstler gegeben wie heute.

Begonnen hat alles eher spontan. Slavko Ninić hat schon immer musiziert - sei es für Freunde oder für sich selbst. Als der gebürtige Kroate, der in Wien und in seiner Heimat Soziologie und Dolmetschen studiert hat, bei einer Beratungsstelle für Ausländer arbeitete, lernte er einen Wiener kennen, der Mandoline spielte, und einen Türken, der das Saz spielte. "Ich habe mich dazugesellt." Die Beratungsstelle war ein auf Initiative des damaligen Sozialministers Alfred Dallinger entstandener Verein. "Damals ist man draufgekommen, dass viel zu tun ist. Die Zuwanderer bleiben hier, sie reisen nicht ab", erinnert sich Ninić.

Gemeinsam mit seinen Arbeitskollegen machte er schließlich die Leidenschaft zum Beruf. Auf den Bandnamen sind sie im Lokal Makedonia gekommen. "Das war ein Stammbeisl am Naschmarkt, in dem sich die linke Szene getroffen hat. Dort haben wir uns getroffen, g’scheitlt und musiziert." An der Namensgebung beteiligte sich das ganze Lokal. "Irgendwann hat wer gerufen: Ihr seid’s die Tschuschnband, weil Tschuschn seid’s eh."

Bereits von der ersten Aufnahme wurden ein paar tausend Stück gekauft. "Wir wollten kulturpolitische Inhalte vermitteln, betreffend die Gastarbeiter, ihre Kultur, Hintergründe, Probleme und die Migration. Auch wenn ich kein Gastarbeiter war, fühlte ich mich ihnen dazugehörig."

Musikalisch wurde viel experimentiert. Griechische und Wiener Lieder waren auch dabei, ebenso Eigenkompositionen. Die Gruppe, die auf bis zu acht Mitglieder anwuchs, bestand aus vielen Österreichern. "Heute orientieren wir uns wieder mehr an der Tradition", betont Slavko Ninić. Zurzeit kommen auch - von einer gebürtigen Bulgarin abgesehen - alle Bandmitglieder vom Balkan. "Zehn Jahren nach der Bandgründung hat es einen Bruch gegeben. Einige hatten keinen Spaß mehr. Dadurch fehlte die Freude auf der Bühne, die das Publikum braucht." Von den jetzigen Musikern könne er viel lernen, erzählt Slavko Ninić.

Am Samstag wird Ninić im Theater Akzent am Benefizkonzert "be one for Wan" für die Erdbebenopfer der Stadt Wan teilnehmen. Neben anderen namhaften Künstlern wird auch Willi Resetarits dabei sein, mit dem Ninić schon oft gemeinsam aufgetreten ist. Überhaupt hat die Wiener Tschuschenkapelle schon mit vielen heimischen Musikgrößen musiziert, wie dem Kollegium Kalksburg oder dem Akkordeonspieler Otto Lechner, der auch auf der neuesten, mittlerweile zwölften CD vertreten ist, und zwar mit einem Lied von Arik Brauer. "Die ganze Wiener Szene war bei uns zu Gast", meint Slavko Ninić. Sogar in der Staatsoper und mit den Wiener Philharmonikern ist die Tschuschenkapelle aufgetreten.

Zu den schweren Zeiten gehörte der Jugoslawien-Krieg: "Ich habe mich ziemlich mies gefühlt. Ich wollte zeigen, dass es eine schöne Kultur am Balkan gibt, habe auf der Bühne humorvolle Geschichten von dort erzählt, und gleichzeitig gab es die Schlagzeilen vom Krieg." Nicht so gerne spricht Ninić auch über den in der ex-jugoslawischen Community verbreiteten Turbofolk. "Das ist so etwas wie alpenländischer Kitsch, nur versucht es sich so darzustellen, als sei es das Einzige, Wahre und Schöne. Unwahrscheinlich, dass das so viele hören: Texte auf dem Niveau eines Erstklasslers und Melodien, die schon 1000 Mal geklaut worden sind. Ich weiß nicht, wer den Leuten so ins Hirn geschissen hat."

"Wir sind auch Österreich."

Künftig will Slavko Ninić international noch bekannter werden. Dabei ist die Tschuschenkapelle schon bisher oft im Ausland aufgetreten: "Wir haben die österreichische Kultur dort repräsentiert. Wir sind auch Österreich." Unter das heimische Publikum mischen sich heute viel mehr Menschen aus der türkischen und exjugoslawischen Community. "Es gibt dort heute viel mehr Künstler als früher, sogar Filmschaffende."

Auch die EU habe zur Veränderung beigetragen. Kroatien wird ihr im nächsten Jahr beitreten. "Wien entwickelt sich wieder zur mitteleuropäischen Metropole. Lange Zeit wurden diese Länder nicht mal als Europa betrachtet, weil sie durch den Eisernen Vorhang getrennt waren."

Seinen beiden Kindern bringt Slavko Ninić auch die Muttersprache bei. "Wenn die Kinder des Tschuschn-Bosses nicht Kroatisch können, ist das eine Niederlage." Als Soziologe wisse er aber, dass das nur eine Generation bleiben wird. "Die Kinder meiner Kinder werden meine Muttersprache kaum können. Darauf habe ich keinen Einfluss, noch möchte ich ihn haben."