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Dass Heulen fast eine olympische Disziplin wird, ist verständlich. Der Sport lebt von seinen Emotionen. Der Sportler kann sich darum nichts kaufen.
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Wenn man es sarkastisch formulieren will, ist das Weinen eine eigene olympische Disziplin geworden, und zumindest in der hat sich die südkoreanische Degenfechterin Shin A-Lam redlich Gold verdient. Die Bilder ihres tränenreichen, fast einstündigen Sitzstreiks nach ihrem verlorenen Halbfinale werden sich tief ins kollektive Gedächtnis der Sportfans auf der ganzen Welt einprägen. Den österreichischen Fans wird wiederum das Schluchzen der Sabrina Filzmoser in Erinnerung bleiben, Tränen gab es auch schon bei Schwimmerin Jördis Steinegger, und wer glaubt, gestandene Männer würden nicht in den Chor der Jammernden einstimmen, braucht sich nur einmal die Aussagen von Judoka Ludwig Paischer ("Ich fühle nur eine riesige Leere") nach seinem Zweitrundenaus oder Tennisspieler Alexander Peya nach seiner Doppelniederlage ("Niemand kann beschreiben, wie weh so etwas tut") zu Gemüte führen.

Freilich gibt es da auch die Tränen der Freude, aber die sind eben nur - wenn nicht eh Silber als Niederlage gefühlt wird - drei Sportlern pro Bewerb vorbehalten. Für die dutzenden anderen, die im entscheidenden Sekundenbruchteil nicht die richtige Entscheidung getroffen haben, die vielleicht auch von Richtern benachteiligt wurden oder einfach mit dem falschen Fuß aufgestanden sind, bleibt oft nichts als ein tiefes, schwarzes Loch. Und das nicht nur emotional. Gerade in jenen Sportarten, die nur bei Olympia, also alle vier Jahre, ins Rampenlicht rücken, sind die Sportler gezwungen, alles andere diesem Zyklus unterzuordnen und auf den berühmten Tag X hinzuarbeiten. Bis man überhaupt dorthin kommt, ist ihre Sportausübung für einige Athleten ein Hobby, bei dem nicht mehr als gerade einmal die Spesen abgedeckt sind. Wenn überhaupt. Das Abschneiden bei Olympia entscheidet dann über künftige Förderungen, sowohl für die Sportler als auch die Verbände, die finanziell also gewissermaßen davon abhängig sind.
Natürlich kann man sich darüber lustig machen, wenn Profisportler (im ersten Moment) nicht mit Niederlagen umzugehen wissen.
Man sollte aber vorsichtig sein, sie als Heulsusen abzustempeln. Der Sport lebt bekanntlich von seinen Emotionen, der Sportler selbst kann sich davon wenig kaufen. Und dann ist da Olympia, die oft einmalige Chance, als Judoka, Wasserspringer oder Bogenschütze gewürdigt zu werden, ist da eine Öffentlichkeitswirksamkeit, die man nicht kennt, ist da all dieses Klimborium, diese Stilisierung zum Höchsten der Gefühle, die Olympia so attraktiv und gleichzeitig so unerträglich werden lässt.
Der in der zweiten Runde ausgeschiedenen Judo-Kämpferin Hilde Drexler war schon vor ihrem Auftritt "fast zum Weinen", wie sie sagt, danach war sie eher "erleichtert, dass es vorbei ist". "Man stellt sich das alles so schön vor, aber das ist es nicht. Die Atmosphäre erdrückt einen." Hält man sich angesichts dieser Aussage vor Augen, was aus dem angeblichen Fest für die Athleten geworden ist, ist Olympia tatsächlich vor allem eines: zum Heulen.