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Der Doyen der österreichischen Historikerzunft, Friedrich Weissensteiner, erinnert an den sagenhaften König Midas. Alles, was er angreift, wird zu Gold. Wie kaum jemandem gelingt es ihm, selbst Themen, die an sich schal und banal anmuten - ehrlich: Wen soll es heute noch interessieren, welche amourösen Techtelmechtel einst den alten Kaiser umtrieben? -, auf eine Weise aufzubereiten, dass man mit einem Mal seine Vorurteile über Bord wirft und sich doch mit den "Frauen im Leben Kaiser Franz Josephs" zu beschäftigen beginnt.
Da ist natürlich vor allem einmal Sisi, die Kaiserin, die zu Beginn ihrer Beziehung zu Österreichs Herrscher von ihrem Filmimage gar nicht so sehr entfernt war. Doch Weissensteiner beleuchtet auch jene Phasen der Ehe, die Marischka nicht mehr zeigte. Die Kaiserin kapselte sich mehr und mehr von ihrem Ehemann ab, der darunter nicht wenig litt. Insofern mag es fast zwangsläufig gewesen sein, dass der Habsburger Trost in den Armen einer anderen suchte. Mochte seine Liaison zur Burgschauspielerin Katharina Schratt noch irgendwie platonisch gewesen sein, bei Anna Nahowski ging der Imperator ganz offenbar aufs Ganze. Hätte es dazumal schon Paparazzi und Sensations-Gazetten gegeben, die Hofburg wäre in einer weitaus prekäreren Lage gewesen als gut hundert Jahre später der Buckingham-Palast bei seinen Sorgenkindern.
Gesamtgeschichte der letzten Phase der Monarchie
Weissensteiner zeigt aber auch das durchaus ambivalente Verhältnis Franz Josephs zu seiner herrischen Mutter Sophie auf, gegenüber der er sich erst mühevoll emanzipieren musste. Schließlich erfahren wir noch einiges über den erstaunlich liebevollen Vater Franz Joseph, der seine beiden Töchter sichtlich mit wesentlich mehr Verständnis begleitete, als dies der unglückliche Rudolf je erfahren durfte. Franz Joseph wurde dies wohl erst bewusst, als es zu spät war, und so trachtete er bei Rudolfs Tochter Elisabeth gutzumachen, was er bei Rudolf selbst versäumt hatte.
Der Leser erfährt so eine ganze Menge über den Privatmann Franz Joseph, den Gatten, Vater und Opapa. Und ehe man es sich versieht, hat der weise Nestor der heimischen Wissenschaft uns auf geniale Weise eine Gesamtgeschichte der letzten Phase der Monarchie vorgelegt, wovon auch jene profitieren, die eigentlich nur wissen wollten, ob Franz Joseph sich seinerzeit wie Prinz Charles aufführte. Geschichte zum Anfassen, die im besten Wortsinne der alten Maxime "prodesse et delectare" (Nützen und Erfreuen) entspricht.
Friedrich Weissensteiner: "Ich sehne mich sehr nach dir" - Frauen im Leben Kaiser Franz Josephs. Amalthea, 256 Seiten.