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Weißrussland steht vor einer Wende

Von Gerhard Lechner

Politik

Planwirtschaft am Rande des Bankrotts.


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Minsk/Wien. Alexander Lukaschenko wird sich dieser Tage wohl eines Wahlkampfschlagers von Ex-US-Präsident Bill Clinton erinnern: "It’s the economy, stupid!" - auf die Wirtschaft kommt es an - lautete das Motto des Südstaaten-Gouverneurs, der es damit bis ins Weiße Haus schaffte. Lange Zeit war es dem weißrussischen Präsidenten geglückt, mitten in Europa ein sowjetisch anmutendes, dirigistisches Wirtschaftsmodell am Leben zu erhalten. Diese Steuerung - rund 80 Prozent der Weißrussen beziehen ihre Gehälter vom Staat - bildet bis heute die Machtbasis des Autokraten, der sich von seiner Anhängerschaft als "Batka" - Väterchen - feiern lässt und das Land im Sinne eines "Hosjain", eines Hausherrn, diktatorisch regiert. Durch die Alimentierung breiter Schichten gelang es dem 57-Jährigen vor allem unter der älteren Generation einen hohen Grad an Zustimmung zu erreichen.

Zwar wurde diesem "System Lukaschenko" von Ökonomen immer wieder der Untergang prophezeit, gekommen ist es dazu aber nie. Im Gegenteil, in den letzten Jahren hatte das Land gar beeindruckende Wachstumsraten aufzuweisen, man sprach von einem "weißrussischen Wirtschaftswunder".

Seit einigen Monaten ist freilich alles anders, und es ist ein Glück - manche vermuten: ein bewusst herbeigeführtes - für den Staatschef, dass er die Präsidentschaftswahlen bereits im Dezember durchführen hat lassen. Denn damals war nicht nur das eiskalte Wetter denkbar ungeeignet für lang dauernde Proteste, auch die wirtschaftliche Situation war noch stabil - ganz im Gegensatz zum Frühjahr, als die ökonomische Rutschpartie des Landes begann. Mittlerweile bewegt sich Weißrussland am Rande des Staatsbankrotts, die Währung wurde um mehr als die Hälfte abgewertet, die Auslandsverschuldung steigt steil an.

Kommt Importsperre?

Einen Kredit aus Russland bekam Lukaschenko nur noch mit der Auflage, Staatseigentum im Wert von 7,5 Milliarden Dollar zu privatisieren. Nun hat auch noch die EU ihre Sanktionen gegen das Lukaschenko-Regime verschärft und erstmals auch den Handel mit und das Vermögen von drei Firmen aus dem Umkreis des Präsidenten eingefroren. In dieser Situation vermittelt Lukaschenko einen eher kopflosen Eindruck: "Wenn es zu einer Katastrophe kommt, werden wir die Grenzen schließen und nur noch das importieren, was wir benötigen", deutete er vorige Woche sogar eine Importsperre an. "Wir haben genug Geld, um Essen und Kleidung zu kaufen." Für Missstände macht der Präsident einmal das treulose Russland, ein andermal die Europäer ("Ochsen sind sie") verantwortlich. "Wir sind für die Europäer ideologische Gegner", kultiviert Lukaschenko vor allem seit der Niederschlagung der Proteste gegen die Präsidentenwahlen im Dezember eine gewisse Bunkermentalität, "wir sind Menschen, die eine andere Lebensweise haben. Deshalb will Europa gegen uns kämpfen."

Doch die Rundumschläge des Populisten stoßen auf immer weniger Gehör. "Mittlerweile sind auch schon die Babuschkas gegen ihn", die Großmütter also, sagt Alexander Skatschkow, der sich - als kleiner Gewerbetreibender in Weißrusslands Staatswirtschaft - zu den "stärksten Menschen der Welt" zählt. Ihn, der unter anderem mit bedruckten T-Shirts handelt, trifft die Krise besonders hart: "Die Abwertung des Rubels hat dazu geführt, dass die Menschen zuerst versucht haben, Devisen zu kaufen, das wurde eingeschränkt. Dann Gold - auch das wurde eingeschränkt. Schließlich tätigten sie Hamsterkäufe, aber natürlich keine T-Shirts, sondern einen zweiten Fernseher oder Kühlschrank - etwas, was nicht so rasch an Wert verliert wie unsere Währung", erklärt der 30-Jährige. Für ihn wie für viele Firmen ist die Krise schlicht katastrophal: "Alle Importe sind viel teurer geworden. Und auch das tägliche Leben: Die Pampers für mein Kind kosteten im März noch 60.000, jetzt 160.000 Rubel." Die Menschen lebten vom Ersparten - so lange das noch möglich sei.

Protest jeden Mittwoch

Kein Wunder, dass es für den Präsidenten immer schwerer wird, sein "weißrussisches Modell" als soziale Alternative zu verkaufen. Der Protest kommt diesmal nicht nur von einer politisierten Jugend, sondern aus der Mitte der Gesellschaft, etwa wenn, wie kürzlich in Minsk, Taxifahrer gegen die Erhöhung der Spritpreise demonstrierten und das gesamte Zentrum lahmlegten. Jeden Mittwoch finden mittlerweile "Spaziergänge" von Regimegegnern im Zentrum von Minsk statt, die Führung lässt die Miliz aufmarschieren. Es riecht nach einer Wende in Belarus.