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Verfassungsjurist hält die Föderalismusreform der Bundesregierung für zu kleinteilig.
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Die Reform des Bundesstaates ist ein Thema der öffentlichen Diskussion, seit Österreich ein Bundesstaat ist. Schon 1920, bei der Erlassung der Bundesverfassung, konnten sich Bund und Länder über eine zeitgemäße Kompetenzverteilung nicht einigen und beließen es vorläufig bei jener Kompetenzverteilung, die es schon in der Monarchie gab.
Die neue Kompetenzverteilung, die 1925 In Kraft trat, wich davon nur unwesentlich ab. Sie ist in sich widersprüchlich: Die Länder sind für alles zuständig, was in der Bundesverfassung nicht explizit dem Bund vorbehalten ist. Der Katalog der Bundeskompetenzen in den Artikeln 10 bis 14b B-VG ist freilich so umfangreich - er erstreckt sich in allen Textausgaben des B-VG über mehrere Seiten -, dass den Ländern trotz dieser Generalklausel nur sehr bescheidene Gestaltungsspielräume verblieben sind.
Die Zuständigkeiten des Bundes werden allerdings vom Verfassungsgerichtshof im Sinne der "Versteinerungstheorie" interpretiert: Nur soweit etwas unter einem dieser Tatbestände schon 1925 geregelt war, darf es der Bund neu regeln. Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern ungemein verzahnt sind und bei neu auftretenden Problemlagen vielfach weder der eine noch die anderen eine zeitgemäße, in sich stimmige Regelung treffen können.
Bund hilft sich mit Verfassungsgesetzen
Das macht den Staat, wie das Regierungsprogramm richtig diagnostiziert, teuer und oft undurchschaubar und ist wohl auch für den massiven Reformstau der letzten Jahrzehnte mitverantwortlich. Die Länder haben zwar wenige Gestaltungs-, aber viele Blockademöglichkeiten. Der Bund hilft sich gelegentlich durch ein spezielles Bundesverfassungsgesetz: Es gibt viele Verfassungsgesetze, die die Kompetenzverteilung des B-VG überlagern oder kasuistisch durchbrechen und damit noch unüberschaubarer machen.
Dutzende hochqualifizierter Juristen in den Bundesministerien, den Ämtern der Landesregierung und nicht zuletzt im Verfassungsgerichtshof sind permanent mit der Klärung von Kompetenzfragen und der Lösung von Kompetenzkonflikten beschäftigt.
Es hat schon viele Anläufe zu einer Reform und Ankündigungen in Regierungsprogrammen gegeben. Sie sind aber entweder gescheitert oder in Minimallösungen stecken geblieben. Auch das aktuelle Regierungsprogramm kündigt wieder eine solche Reform an, und zwar mit relativ starken Worten: Es soll eine radikale Entflechtung und Neuordnung der Kompetenzverteilung geben. Ob sich allerdings die Autoren der Dimensionen dieser Problematik wirklich bewusst waren, wird dadurch wieder in Frage gestellt, dass als primäres Anliegen die Abschaffung des Art. 12 B-VG angekündigt wird. Dieser Kompetenztypus der Grundsatz- und Ausführungsgesetzgebung betrifft aber mit seinen sechs Tatbeständen nur einen winzigen Bruchteil der Gesamtproblematik.
Tatsächlich ist eine einschlägige Regierungsvorlage auch bereits einem Begutachtungsverfahren unterzogen worden und dieses Tempo ist durchaus bemerkenswert. In der Sache steckt sie freilich bereits zurück: Sie hebt den Art. 12 B-VG nicht auf, sondern entrümpelt ihn nur. Das ist an sich gar nicht beklagenswert, sondern beruht vielleicht auf der richtigen Einsicht, dass es in einem Bundesstaat durchaus Sinn machen kann, wenn sich der Bund in bestimmten Angelegenheiten auf einen Rahmen beschränkt, nähere Details aber den Ländern überlässt.
Das setzt freilich sprachliche Fähigkeiten voraus, über die die beamteten Legisten in Österreich anscheinend nicht verfügen. Sie sind auf bürokratische Detailregelungen trainiert und haben in der Tat größte Schwierigkeiten mit grundsätzlichen Bestimmungen. (Vielleicht sollte man sie zur Schulung in die Schweiz schicken, deren Gesetze generell ungleich einfacher und verständlicher formuliert sind - ein Effekt der direkten Demokratie?)
Die Reform ändert an dieser Problematik nichts, wie auch nichts an der Art und Weise des Zusammenspiels von Bundes- und Landesgesetzgebung, das in Art. 12 B-VG schon für sich sehr umständlich geregelt ist. Positiv zu bewerten ist die Beseitigung mehrerer wechselseitiger Zustimmungsrechte von Bund und Ländern.
Reform des Art. 12 B-VGist nur ein Detail
Von einer großen Bundesstaatsreform ist diese Initiative freilich noch meilenweit entfernt. Die rasche Initiative weckt zwar Hoffnungen und vielleicht sind kleine Schritte nach allen bisherigen Erfahrungen wirklich die einzige erfolgversprechende Methode einer Bundesstaatsreform. Das Konzept der (in den Erläuterungen skizzierten) weiteren Vorgangsweise lässt jedoch nichts Gutes erwarten. Zum einen wird wieder nur eine Änderung des verbleibenden Rests des Art. 12 B-VG explizit hervorgehoben, als läge gerade hier der Schlüssel zu einer echten Reform.
In Wahrheit handelt es sich nur um ein kleines Detail, das innerhalb der Gesamtproblematik des österreichischen Föderalismus einen geradezu lächerlichen Stellenwert hat. Außerdem sollen die weiteren Schritte in einer "politischen Bund-Länder-Arbeitsgruppe" beraten werden. Das ist so etwas wie eine gefährliche Drohung: In derartigen Gremien wurden schon bislang alle größeren Reforminitiativen zu Grabe getragen. Es ist im Übrigen bezeichnend, dass sich der einzige ernstzunehmende Einwand im Begutachtungsverfahren gegen die Auflösung der Grundsatzgesetzgebungskompetenz des Bundes in Sachen "Kinder- und Jugendhilfe" mit der Konsequenz einer uneingeschränkten Landeskompetenz richtete.
Es ist dies ein Beleg für die in der österreichischen Gesellschaft weitverbreitete Skepsis gegenüber Gesetzgebungskompetenzen der Länder. Erinnert sei nur an die (zum Teil erfolgreiche) Kritik an den Landeszuständigkeiten in Sachen Tierschutz, Jugendschutz, Baurecht usw.
Die allgemeine Leitlinie einer Kompetenzreform müsste es daher sein, die Gesetzgebung weitgehend beim Bund zu konzentrieren und statt dessen die Position der Länder in der Verwaltung zu stärken. Die Landtage würden nicht arbeitslos, wenn man ihnen starke Kontroll- und Mitwirkungsrechte in der Landesverwaltung einräumte und dadurch deren demokratische Legitimation stärken würde. Die - hoffentlich nur erste und nicht auch letzte - Initiative der Bundesregierung lässt von einem solchen Konzept noch kaum etwas erkennen.
Theo Öhlinger ist emeritierter Universitätsprofessor für Verfassungsrecht. Er war Mitglied des Österreich-Konvents und Mitglied
der Arbeitsgruppe Verfassungsreform im Bundeskanzleramt.