Noch mehr Schulden, weiter Reformstau, Euro-Austritt - die EU schaut sorgenvoll auf Italien.
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Rom/Wien. Italien bleibt auch nach der Wahl Europas Wackelkandidat. Wird sich eine EU-kritische Regierung formieren oder wird es sogar Neuwahlen geben? Und: Welche Auswirkungen wird die Wahl auf Italiens Wirtschaft und die der Eurozone nehmen?
Während der Rest des Euroraums im Aufschwung begriffen ist, hinkt Italien hinterher - auch, wenn die drittgrößte Volkswirtschaft Europas zuletzt vergleichsweise gute Wirtschaftsdaten vorweisen konnte. Die reale Wachstumsrate lag 2017 bei 1,5 Prozent, die Zahl der Beschäftigten war im Jänner heuer mit mehr als 23 Millionen so hoch wie zuletzt zu Beginn des Jahres 2008. Seit 2014 hat die Industrieproduktion um zehn Prozent gestiegen. Trotzdem: Die Jugendarbeitslosenquote im Land liegt bei 32 Prozent, bei der Höhe der absoluten Staatsverschuldung nimmt Italien mit 2,3 Billionen Euro nach Griechenland den zweiten Platz in der EU ein - das entspricht 130 Prozent des Bruttosozialproduktes.
Fast alle Parteien warben mit milliardenschweren Versprechen im Wahlkampf, wie etwa Steuerentlastungen oder Grundeinkommen, weshalb einige Experten befürchten, dass durch künftige Reformumkehr und einen Anstieg der öffentlichen Ausgaben eine neue Finanzkrise droht.
Bisher hat die Wahl im Bel Paese an den Finanzmärkten aber für vergleichsweise wenig Beunruhigung gesorgt. Das hat mitunter damit zu tun, dass in Italien nicht alles so heiß gegessen wird wie gekocht. Will heißen: Ob es eine EU-kritische Regierung gibt oder nicht, hänge von der künftigen Konstellation der Koalition in Italien ab, sagt Emanuel Felice der "Wiener Zeitung". Der Ökonom an der Universität Chieti-Pescara gibt auch zu bedenken, dass den Parteien im Wahlkampf klar war, dass keine von ihnen eine Mehrheit erreichen werde. Das erkläre die unrealistischen Wahlversprechen, die sowieso nicht eingehalten würden. Befinde man sich in Regierungsverantwortung, schiebe man den schwarzen Peter dem anderen Koalitionspartner zu. Der Ökonom sagt weiter, dass der Ausgang der Wahl nicht gut für Italiens Wirtschaft sei, "aber ob er schlecht ist, das müssen wir abwarten". Was die Parteien in ihrem Programm sagen und versprochen haben, sei "völlig irrelevant", so Felice. "Wir sind in Italien. Es kommt auf den Koalitionspartner an, wie sich künftig positioniert wird."
EU-Horrorszenario?
Das wirtschaftliche Sorgenkind hatte zudem mit EU-kritischen Tönen im Wahlkampf aus diversen Lagern für Kümmernis bei seinen Unionspartnern gesorgt. Das letzte mögliche Horrorszenario für Europa und die Finanzmärkte, eine EU-kritische Regierung unter Führung der populistischen Protestbewegung Movimento 5 Stelle (M5S) und der ausländerfeindlichen Lega, sei zahlentechnisch möglich, werde aber nicht geschehen, sagt Felice. Front-National-Freund und Strache-Bewunderer Matteo Salvini von der Lega würde die Position der Nummer eins im Mitte-rechts-Bündnis für die zweite Reihe in einer Koalition mit der M5S nie aufgeben, so der Ökonom.
Mit einem Referendum zum EU-Austritt rechnet somit keiner mehr - die einzig offenen EU-Kritiker, die M5S und die Lega - sind bereits vor den Wahlen in ihrer Anti-EU-Rhetorik zurückgerudert. Laut aktueller Umfrage des Instituto ixè würde dies bei den Italienern auch nicht auf fruchtbaren Boden stoßen. 52 Prozent der Befragten sprechen sich für einen Verbleib in der Eurozone aus. Der italienische Meinungsforscher Roberto Weber schätzt das Pro-Lager in Italien auf 60 Prozent, sollte es tatsächlich zu einer Befragung kommen.
Trotzdem ist ein Anteil von mehr als der Hälfte der gewählten Parteien auf Konfrontationskurs mit Brüssel. Mehr als die Hälfte der Italiener glaubt laut derselben Umfrage nämlich auch, dass Italien mehr für die EU getan hat, als es von dieser im Gegenzug erhalten habe. Ein Umstand, der künftig weiter für Unruhe sorgen könnte.
Auf EU-Ebene selbst gibt es durchaus selbstkritische Töne zur Italien-Wahl. Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn hat die Blockade bei der Verteilung von Flüchtlingen in Europa für den Aufstieg anti-europäischer Kräfte in Italien verantwortlich gemacht. Das unsolidarische Verhalten beim Thema Migration habe "Wasser auf die Mühlen der Populisten und Rechtsextremisten geführt", sagte der Minister am Montag der Deutschen Presseagentur. Der Ausgang der Wahl werde Politik auf europäischer Ebene weiter erschweren, sagte Asselborn voraus.
Trotz absehbarem Ergebnis gibt es auch schockierte Stimmen zum Wahlergebnis aus der Wirtschaft: "Eine populistische Regierung in Rom wäre ein politisches und ökonomisches Hochrisikoszenario, das eine neue Phase ökonomischer und politischer Unsicherheit einläuten würde und letztlich den Bestand von Eurozone und EU gefährden könnte", warnt Friedrich Heinemann, Ökonom beim Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) gegenüber dem Fernsehsender ARD. Die Investoren am Finanzmarkt geben sich aber gelassen. Die sich abzeichnende Hängepartie bei der Regierungsbildung ist man in Italien gewohnt und wird kurzfristig die Finanzmärkte wohl nicht belasten.
Investoren relativ gelassen
So waren an den Aktienmärkten die Wahlen vor Sonntag kein größeres Thema, auch nach dem Vorliegen des Ergebnisses hat Italiens Aktienleitindex, der FTSE MIB, am Montag zwar klare Einbußen notiert - seit Jahresanfang hat er aber gut zwei Prozent zugelegt und sich besser geschlagen als etwa der DAX oder Eurostoxx. Auf Jahressicht legte der nach dem griechischen und dem österreichischen Markt mit einem Plus von 20,5 Prozent die drittbeste Performance in Europa hin.
Der Kurs des Euro ist am Montag nach einigen Schwankungen unverändert auf dem Niveau vom Freitag verblieben. Am späten Nachmittag kostete die Gemeinschaftswährung 1,2317 US-Dollar und damit genauso viel wie vor dem Wochenende.
Die Aktien des Medienmoguls Silvio Berlusconi hingegen bildeten nach den Wahlen das Schlusslicht der Mailänder Börse. Zahlreiche Anleger trennten sich von Mediaset-Wertpapieren. Die Titel des Medienkonzerns rutschten in der Spitze um 7,7 Prozent auf 2,87 Euro ab und waren damit so billig wie seit knapp vier Monaten nicht mehr.
Der Aufruhr um die schwierige Regierungsbildung in Italien lässt niemanden optimistisch werden - es bleibt abzuwarten, wer sich wie formiert oder ob es gar Neuwahlen geben wird. Klar gesagt werden kann ist, Italien verliert in jedem Fall wichtige Zeit, die das Land eigentlich nicht hat. Die Aussichten für erfolgreiche Reformen im wirtschaftlich angeschlagenen Italien stehen jetzt schon schlecht. Wachstum und Schuldenabbau waren bereits im Wahlkampf stark im Hintergrund. Ein konstruktiver Partner im europäischen Reformprozess, den sich Berlin und Paris wünschen, schaut anders aus.