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Weiterer Ausverkauf der Politik an die Wirtschaft?

Von Gastkommentar von Kurt Bayer

Gastkommentare

Wem Schiedsgerichte bei internationalen Investitionsstreitigkeiten nützen.


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Im Rahmen der Parlamentssitzung am 24. April über das von der EU-Kommission mit den USA verhandelte Transatlantische Freihandelsabkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP) kam auch wieder die Kritik an dem im (weitestgehend geheim verhandelten) Abkommen enthaltenen Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren (Investor-state dispute settlement, ISDS) zur Sprache.

Die Verhandlungen über dieses Dossier sind derzeit von der EU-Kommission bis zum Herbst ausgesetzt worden. Der Zeitraum soll zu intensiver Konsultation mit Bürgern, Lobbys, Interessenverbänden und Unternehmen genutzt werden.

Worum geht es beim Streitbeilegungsverfahren?

Grundsätzlich geht es beim ISDS darum, dass in bilateralen Handelsabkommen, aber auch in vielen Einzelverträgen, die grenzüberschreitende Investoren mit Zielländern abschließen, zur möglichen Streitbeilegung ein privates Streitbeilegungsverfahren vereinbart wird, das je nach Abkommen optional oder verpflichtend bei Streitigkeiten zur Anwendung kommt. (Insider meinen, dass heutzutage bei fast jedem größeren Geschäft die eine oder andere Partei klagt und dabei zunehmende Rechtskosten verursacht.)

Solche privaten Schiedsgerichte werden in jüngster Zeit zunehmend in Anspruch genommen. Eine Schätzung von Attac besagt, dass es derzeit weltweit 530 bekannte anhängige Fälle gibt. Mit steigender Tendenz kommen etwa 60 Fälle pro Jahr hinzu. Dabei geht es in allen Fällen darum, dass Unternehmen, die in einem anderen Land investiert haben, den Zielstaat klagen, wenn vermeintlich ihre Rechte geschmälert oder dem Investor ganz entzogen werden.

Der klassische Fall ist also einer, bei dem als Beispiel ein österreichisches Unternehmen in einem Balkanstaat einen Hotelkomplex errichtet - und nach Errichtung eine Behörde im Zielland etwa die Einfuhr von notwendigen Einrichtungsgegenständen oder auch Nahrungsmitteln mit dem Argument verweigert, es seien exorbitante Zollrechnungen aus der Errichtungsphase nicht bezahlt worden. Oder es wird mit dieser Argumentation die Bewilligung zur Eröffnung des betreffenden Hotels versagt.

In jüngster Zeit wurden aber Fälle bekannt wie etwa jener des schwedischen Kraftwerksbetreibers Vattenfall, der in Deutschland ein Kraftwerk errichten wollte, sich aber durch die deutsche Energiewende in seinen Gewinnerwartungen bedroht fühlte und Schadenersatz beanspruchte.

Ähnliche Fälle, die zum Beispiel durch Fracking-Verbote oder Auflagen in Kanada entstanden, sind bekannt. Oder die Klage des Zigarettenherstellers Philipp Morris gegen die Regierung von Australien anlässlich des dort beschlossenen Gesetzes, dass Zigarettenpackungen nur noch Marken-neutralisiert, also ohne Markenaufdruck, verkauft werden dürften.

Schiedsgerichtsverfahren sind teuer und einseitig

Besonders zwei Einwendungen werden gegen diese Praxis laut, eine systemimmanente und eine grundsätzliche. Solche Schiedsgerichtsverfahren sind teuer: Ohne die auflaufenden Rechtsanwaltskosten werden sie auf etwa 800.000 Euro geschätzt, mit den teuren Anwaltskosten können schnell Beträge von mehreren Millionen Euro auflaufen. Ein weiteres Problem ist, dass es bei solchen Verfahren, die üblicherweise von drei von den Parteien zu nominierenden Rechtanwälten (also nicht Richtern!) entschieden werden, keine Ablehnung (etwa aus "frivolen" Gründen) der Klage gibt. Das bedeutet: Alle Klagen werden verhandelt.

Darüber hinaus ist die Kosten-Nutzen-Balance vollkommen ungleich verteilt, und zwar zu Ungunsten des beklagten Staates. Der beklagte Staat kann bestenfalls einen Schiedsspruch erreichen, der die Klage ablehnt. Dennoch muss er auch in diesem Fall die eigenen Anwaltskosten und meistens die Hälfte der Verfahrenskosten berappen.

Der Kläger indes kann im Idealfall saftige Entschädigungssummen erstreiten. Die Risiken dieser Verfahren sind daher sehr ungleich verteilt, der beklagte Staat kann eigentlich nicht gewinnen. Dazu kommt noch, dass derartige Schiedssprüche nicht beeinsprucht werden können, weil es keine Berufungsinstanz gibt. Daher bleiben alle Fehler und Interpretationen der Schiedsrichter gütig und exekutierbar.

Gewinninteresse vor Allgemeinwohl?

Die viel grundsätzlichere Frage ist jedoch, wo bei solchen Klagen der politische Regulierungsspielraum des Landes verbleibt, wenn Unternehmen alles, was ihre Gewinnerzielung und ihre Gewinnerwartungen beeinträchtigen könnte, einklagen können. Im Extremfall müssen sie selbst kein Investitionsrisiko mehr tragen (den "Ursinn" unternehmerischen Handelns), sondern wollen dies vom Zielstaat zu 100 Prozent abgesichert haben.

Systemisch gesprochen geht es daher darum, ob die privaten Gewinninteressen den Regulierungsinteressen eines Staates (also dem Allgemeinwohl) vorgehen oder nicht. Dies ist meines Erachtens der Haupteinwand gegen das starke Anwachsen dieser Schiedsgerichte.

Es entsteht durch solche Verfahren also eine Nebengerichtsbarkeit, welche die staatlichen Gerichte aushebelt. Es mag zwar gute Gründe dafür geben, dass ein Investor der Rechtsstaatlichkeit in wenig entwickelten oder als korrupt bekannten Staaten nicht traut und daher Schiedsgerichtsbarkeit vereinbart. Dort haben sie einen legitimen Platz, wenn auch reformiert (Ablehnungsmöglichkeit, Instanzenzug, etc.).

Aber was solche Verfahren in einem Handelsabkommen zwischen den USA und der EU zu suchen haben, kann ja nicht mit der mangelnden Rechtssicherheit in den betroffenen Ländern/Regionen argumentiert werden. Es steht zu vermuten, dass es hier einmal mehr um eine Bevorzugung der Interessen von Unternehmen vor dem Staatswohl geht, die in einem solchen Handelsabkommen (nach dem Muster der North American Free Trade Association, Nafta) durchgesetzt werden sollen.

Bei einer Veranstaltung zu dieser Thematik hat sich kürzlich der zuständige Beamte aus dem Außenministerium blauäugig (?) zur Sinnhaftigkeit von ISDS bekannt, "da ja die österreichische Außenpolitik auch Außenwirtschaftspolitik" sei und daher die Interessen österreichischer Unternehmer zu berücksichtigen seien. Auf die Frage, ob er im Falle einer Klage gegen Österreich nicht eine unzulässige Einmischung in die Regulierungsfreiheit der österreichischen Bundesregierung sähe, meinte er nur, Österreich sei bisher nie geklagt worden. Das Beispiel der Nafta zeigt jedoch, dass die USA und Kanada mehreren Schiedsgerichtsklagen mexikanischer Firmen unterzogen wurden. Auch in Europa sind schon einige Staaten geklagt worden.

Verschiebung der Balance als gefährlicher Präzedenzfall

Die Verschiebung der Balance zwischen Rechten und Pflichten zu Ungunsten von Staaten und zu Gunsten internationaler Investoren stellt einen gefährlichen demokratiepolitischen Präzedenzfall dar. Sowohl die mögliche Einschränkung einer staatlichen Kernfunktion als auch die Tatsache, dass in solchen Verfahren Staaten nicht "gewinnen" können, sondern hohe Kosten für die Steuerzahler verursacht werden, sprechen gegen ISDS im Besonderen und private Schiedsverfahren im Allgemeinen.

Es mag zwar der derzeitigen EU-Wirtschaftspolitik entsprechen, Staatsagieren als "schlecht" und zu verringernd und Privatsektoraktivitäten als "prinzipiell gut" zu bewerten, doch ist diese Bedeutungsverschiebung weg von der Sorge um das Allgemeinwohl der Bürger mit allen Mitteln zu verhindern. Die EU-Kommission sollte lieber Überlegungen anstellen, wie der Wildwuchs an Schiedsgerichtsverfahren wieder in den öffentlichen Raum gebracht werden kann, um das Justizmonopol der öffentlichen Hand mit seinem Instanzenzug zu stärken.

Solange Schiedsverfahren nur von einer quasi-öffentlichen Institution wie dem International Center for Investment Disputes
(ICSID), einer Tochter der Weltbank, nach internationaler Rechenschaftspflicht unterliegenden Standards durchgeführt wurden, war dies noch einigermaßen vertretbar, auch wenn auch hier der fehlende Instanzenzug für berechtigte Kritik sorgte. In den vergangenen Jahren aber hat der Wildwuchs an privaten Schiedsgerichten zugenommen, vor allem auf Druck international investierender Unternehmungen. Die österreichische Bundesregierung sollte sich vehement für die Stärkung des staatlichen Rechtsmonopols bei der EU-Kommission einsetzen, die BürgerInnen sich verstärkt an der Konsultation beteiligen.

Kurt Bayer ist Ökonom und war Board Director in der Weltbank (Washington, D.C.) und bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD, London) sowie Gruppenleiter im Finanzministerium.