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"Weiterlächeln, mit Wunden im Gesicht"

Von WZ-Korrespondentin Birgit Holzer

Politik

Unmittelbar nach den Attentaten haben die Pariser mit Fassungslosigkeit und tiefer Trauer reagiert. Mittlerweile kommt aber immer mehr der Trotz zum Vorschein. Der Grausamkeit der Terroristen setzt man Lebensfreude und Kreativität entgegen.


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Paris. Man kennt den Namen der schwangeren Frau nicht und auch von ihrem Retter nur den Vornamen: Sébastien. Über eine Annonce im sozialen Netzwerk Twitter hat ihr Freund ihn ausfindig gemacht, um sich bei ihm zu bedanken für sein Eingreifen, das ihr und dem ungeborenen Kind wohl das Leben gerettet hat. Sie befand sich am Freitag in der Pariser Konzerthalle "Bataclan", als Terroristen dort das Feuer auf die Besucher eröffneten.

Wie viele andere versuchte sie, in heller Panik aus den oberen Stockwerken dem Blutbad im Inneren des Clubs zu entkommen. Eine dramatische Szene, die ein Journalist von seinem Fenster aus aufgenommen hat. Unter den Fliehenden war auch Sébastien, der gerade versuchte, sich über ein Abluftrohr hinab zu hangeln, weil die Fenster zu hoch waren, um nach einem Sprung heil unten anzukommen. Da erblickte er eine Frau, die verzweifelt um Hilfe rief: Sie sei schwanger. "Sie hing am Fenster und flehte die Leute unten an, sie aufzufangen", berichtet der junge Mann. "Aber die Schießerei war in vollem Gange, niemand blieb stehen. Ich bin umgekehrt, um ihr zurück ins Innere zu helfen." Dort verlor er sie aus den Augen, doch entging sie dem Kugelhagel, in dem allein im "Bataclan" mindestens 89 Menschen starben. Für den Freund der schwangeren Frau ist Sébastien ein Held. "Viele kleine Gesten haben sie gerettet", sagt er. "In einem solchen Moment des absoluten Wahnsinns können kleine Dinge wie eine ausgestreckte Hand Großes bewirken."

Ein unsichtbares Netz

Es sind viele Erzählungen wie diese, die nach der Terror-Serie vom Freitag in Paris die Runde machen. Schöne Erzählungen von selbstloser Hilfsbereitschaft oder unendlicher Erleichterung, seine Liebsten in Sicherheit zu wissen. Von tausenden Menschen, die seit Freitag Blut gespendet haben. Von Bergen an Blumen, Kerzen, Briefen, die sich vor den Tatorten stapeln. Und von glücklichen Zufällen wie dem der jungen Émilie, die eigentlich eine Karte für das Konzert der US-Band "Eagles of Death Metal" im "Bataclan" hatte - aber mit Grippe im Bett zuhause lag. In Sicherheit.

Es scheint kaum jemanden in Paris zu geben, der keine Geschichte zu diesem schwarzen Freitag zuerzählen hat. Jeder scheint jemanden zu kennen, der vor Ort war, als der Horror begann, der entkam - oder eben auch nicht. "Paris ist eine große Stadt, aber alle wirken wie durch ein unsichtbares Netzwerk miteinander verknüpft", sagt Hervé, dessen Nichte noch am Freitagmittag im Restaurant "Le Petit Cambodge" gegessen hatte, in dem am Abend 14 Menschen ermordet wurden. Hervés Mitbewohner hatte noch am Vorabend ein Konzert im "Bataclan" besucht hatte. Sie erfüllt nun das Gefühl, dem willkürlichen Wahnsinn der Extremisten mit Glück entgangen zu sein.

"Ihr habt verloren"

Aber es gibt auch viele traurige, bittere, herzzerreißende Geschichten, die um das Erleben des schwersten Terroranschlags kreisen, den Frankreich je erfahren hat. Sie erzählen von Menschen, die so abrupt aus dem Leben gerissen wurden, und von ihren Hinterbliebenen, die den Verlust irgendwie zu fassen versuchen. Viele tun das mit bewegender Stärke, so wie Antoine Leiris, der sich auf seiner Facebook-Seite an die Extremisten wendet: "Freitagabend habt ihr das Leben eines außergewöhnlichen Wesens gestohlen, der Liebe meines Lebens, der Mutter meines Sohnes", schreibt er. "Aber ich werde euch nicht den Gefallen tun, euch zu hassen. Mit Wut auf Hass zu antworten würde heißen, derselben Ignoranz einen Platz einzuräumen, die das aus euch gemacht hat, was ihr seid. Ihr wollt, dass ich Angst habe, dass ich die anderen mit misstrauischem Blick ansehe, dass ich meine Freiheit der Sicherheit opfere. Ihr habt verloren." Er bleibe mit seinem 17 Monate alten Sohn zurück, einem glücklichen und freien Kind. "Wir sind stärker als alle Armeen dieser Welt. (...) Und auch seinen Hass werdet ihr nicht bekommen."

Eine ähnliche Kraft entwickelt Grégory Reibenberg, Chef des Cafés "La Belle Équipe", wo 19 Menschen erschossen wurden, darunter Angestellte, Freunde und seine Frau. Seit dem Attentat habe er so viel an Glück und Liebe erfahren, erklärt er, dass es darum gehe, weiterzumachen. Weiterzuleben. "Man kann lächeln mit Wunden auf dem Gesicht." Auch Dominique Revert, Ko-Betreiber des "Bataclan", der am besagten Abend nicht vor Ort war, hat angekündigt, das legendäre Konzerthaus, in dem schon Stars von Lou Reed über Oasis bis zu Stromae spielten, nicht dauerhaft zu schließen. "Es wird am Anfang zwar hart sein. Aber natürlich wird es wieder öffnen, alles andere wäre eine Kapitulation. Man darf nicht kapitulieren."

Die Attentäter hatten das populärste Ausgehviertel von Paris wohl bewusst zum Ziel gewählt. In unmittelbarer Nähe liegt auch die frühere Redaktion des Satiremagazins "Charlie Hebdo", die im Jänner Schauplatz eines Terror-Anschlags wurde. Während damals Karikaturisten eines Lieblingsblattes der Altlinken Zielscheibe waren, ist diesmal kaum eines der Opfer über 40 Jahre alt. Es traf lebensfrohe, kulturell interessierte, offene Menschen wie Alban Denuit, einen 32-jährigen bildenden Künstler, der mit seiner Freundin im "Bataclan" war, weil er Musik liebte. Wie Précilia Correia, eine 35-jährige Franko-Portugiesin, die beruflich Elektronikgeräte verkaufte und privat Snowboard fuhr, fotografierte und Rockkonzerte besuchte. Oder wie Romain Feuillade, ein angehender Schauspieler, Liebhaber von Basketball und gutem Essen, den seine Freunde als "fröhlich und großzügig" beschreiben und seine Frau als "perfekten Ehemann".

Die Liste der Toten trägt mindestens 129 Namen. Während nach den Anschlägen auf "Charlie Hebdo" und einen jüdischen Supermarkt jedes der Opfer namentlich bekannt war, sind es diesmal einfach zu viele. Können es noch mehr werden? Können weitere Schläge folgen, nachdem Frankreich die Bombardements auf Stellungen der Extremisten-Miliz "Islamischer Staat" in Syrien nun noch ausweitet, um ebenfalls nicht zu kapitulieren, sondern diesen "Krieg" gegen die Terroristen aufzunehmen, von dem die Regierung spricht?

"Ich sitze auf der Terrasse"

Am heutigen Mittwoch soll das französische Parlament den Ausnahmezustand auf drei Monate ausweiten. Die Regierung rüstet auf, verstärkt die ohnehin sehr präsenten Sicherheitskräfte in Paris massiv. Sie sagt es klar: Die Gefahr bleibt sehr hoch. Die Menschen sind verstört. Aber wenn sie es auch nicht angstfrei tun, so gehen sie bewusst auf die Straße. Am Donnerstag, wenn das Versammlungsverbot aufgehoben wird, wird eine große Feier organisiert, zu der tausende Menschen erwartet werden. Viele reagieren mit Kreativität und herausfordernden Witzen auf den Horror Im Internet veröffentlichen sie Party-Fotos und das Motto "Je suis Charlie", das nach den Anschlägen im Jänner um die Welt ging, erhält zahlreiche neue Variationen - wie jenes trotzige "Je suis en terrasse" ("Ich bin auf der Terrasse").

"Die Pariser leisten Widerstand" steht über einer Karikatur der Zeitung "Le Monde", die einen Mann rauchend an einem Tisch sitzend zeigt: "Es sind nicht drei Terroristen, die mich davon abhalten werden, für meinen Café auf einer Terrasse fünf Euro zu bezahlen!", schreibt der Journalist Luc Le Vaillant in der Zeitung "Libération". "Wir werden unsere Toten beweinen. Wir werden uns die nötige Zeit nehmen, um zu realisieren, was ihr gewagt habt, uns anzutun. Und dann werden wir weitermachen wie vorher, verletzt, angeschlagen, aber überzeugt davon, dass ihr uns nicht nehmen könnt, was uns ausmacht." Er meint die Lebensfreude, die einen Schlag erfahren hat. Aber nun umso mehr aufbrechen will.