Das Unglück in der japanischen Atomanlage Fukushima beeindruckt die Menschen weltweit stärker als ihre politischen Vertreter. Nur in wenigen Staaten wie Israel, Deutschland und der Schweiz wird über eine Änderung des Kurses nachgedacht. China, Russland und die Türkei strahlen vor Zuversicht.
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Europäische Union: Die EU-Kommission will eine schnelle Überprüfung der Sicherheitsstandards in Europa. Nach Angaben von EU-Energiekommissar Günther Oettinger sollen alle Atomkraftwerke einem Stresstest unterzogen werden - dabei geht es unter anderem um die Frage, wie sie gegen Terrorangriffe und Stromausfälle gewappnet sind. Die Kommission hat in der Atomaufsicht allerdings nur geringe Kompetenzen. Für Lizenzen und Kontrollen der Werke sind die einzelnen Staaten zuständig, sie treffen auch die Grundsatzentscheidung für oder gegen Kernenergie.
Bemerkenswert ist, dass es in Europa 50 Jahre nach der Inbetriebnahme des ersten Kernkraftwerks keine einzige Endlagerstätte gibt. Die EU-Kommission versucht seit November 2010, Druck zu machen und will den Export von Atommüll aus Sicherheitsgründen verbieten.
USA: In den Vereinigten Staaten erlebt die Kernkraft gerade eine Renaissance. Um die Abhängigkeit von Ölimporten zu verringern, hat die Regierung 18,5 Milliarden Dollar (13,3 Milliarden Euro) an Kreditgarantien für den Ausbau der Kernkraft zugesagt. Washington betrachtet die Atomkraft auch als Möglichkeit, den Ausstoß von Treibhausgasen zu drosseln. An dem Kurs will das Weiße Haus trotz der Nuklearkrise in Japan festhalten.
Russland: Nachdem Regierungschef Wladimir Putin zunächst die Kernenergie nicht infrage stellen wollte, fordert er nun eine einmonatige Überprüfung des Atomenergiesektors. Russland ist einer der wichtigsten Atomenergieproduzenten der Welt und baut auch im Ausland Kernkraftwerke.
China: Trotz der Vorfälle in Japan will China die Atomenergie vorantreiben. 27 Reaktoren befinden sich derzeit im Bau, 50 weitere sind in Planung. Allerdings erklärte Peking, China könne seine Lehren aus der Krise in Japan ziehen.
Türkei: Unbeeindruckt zeigt sich auch die Türkei: Energieminister Taner Yildiz erklärte, dass die zwei geplanten Anlagen in dem bislang AKW-freien Land wesentlich moderner sein würden als die Problem-Kraftwerke in Japan. Dass die geplanten Standorte als erdbebengefährdet gelten, ließ den Politiker kalt: "Wir sind entschlossen, unsere Atomkraftwerksprojekte in der Türkei fortzusetzen."
Deutschland: Die Bundesregierung lässt die ältesten Atomkraftwerke vorübergehend abschalten - mindestens eines von ihnen wird endgültig stillgelegt.
Frankreich: Als größter Atomstromproduzent Europas hält Frankreich an der Kernenergie fest, die Regierung will aber die Sicherheit aller Atomkraftwerke überprüfen. Die Opposition fordert eine grundsätzliche Debatte über die Atomkraft, die Grünen sprachen sich für eine Volksabstimmung aus. Sorge macht Umweltschützern insbesondere das älteste Kraftwerk Fessenheim an der deutsch-französischen Grenze, das in einem Erdbebengebiet liegt.
Spanien lässt seine Kernkraftwerke zusätzlichen Sicherheitstests unterziehen. Dabei sollten auch die Gefahren von Erdbeben und Überschwemmungen berücksichtigt werden. Die Regierung habe bei der Aufsichtsbehörde für Nukleare Sicherheit (CSN) entsprechende Berichte angefordert. Ministerpräsident Jose Luis Rodriguez Zapatero betonte, die acht Kernkraftwerke in Spanien seien sicher. Er sprach sich dagegen aus, das Unglück in Japan zum Anlass für eine Debatte über die Zukunft der Kernenergie zu nehmen.
Italien: Trotz der Atomunfälle in Japan hält die italienische Regierung an der geplanten Rückkehr zur Atomenergie fest. Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl beschloss Italien den Ausstieg aus der Atomkraft, doch muss es seitdem teuren Strom importieren. Deshalb will Ministerpräsident Silvio Berlusconi neue Atomkraftwerke bauen lassen. Allerdings war schon vor den Unfällen in Japan eine Mehrheit der Bevölkerung dagegen. Voraussichtlich im Juni wird es ein Referendum geben.
Belgien: In Belgien führen die Atomunfälle womöglich zu einer Revision geplanter Laufzeitverlängerungen. Belgien hatte 2003 beschlossen, seine sieben Reaktoren zwischen 2015 und 2025 zu schließen. Eine neue Regierung vereinbarte 2009 dann aber eine Verlängerung für die drei ältesten Reaktoren. Das Parlament hat diese allerdings noch nicht gebilligt.
Polen: Warschau will am geplanten Atom-Einstieg festhalten. Das Programm sei "unverzichtbar", um die Stromversorgung in den kommenden Jahrzehnten zu sichern, erklärte die Regierung am Montag. Derzeit gibt es in Polen kein Atomkraftwerk, 94 Prozent des Stroms werden in Kohlekraftwerken produziert. Geplant sind vorerst zwei AKW.
Schweiz: Die Regierung hat sämtliche Pläne zu Kraftwerksneubauten vorerst auf Eis gelegt. Wirtschaftsministerin Doris Leuthard beauftragte die Atomaufsicht, "die Ursachen des Unfalls in Japan genau zu analysieren" und daraus "neue oder schärfere Sicherheitsstandards abzuleiten". Erst dann könnten Anträge für den Ersatz bestehender Kraftwerke "umfassend beurteilt werden".
Israel: Ministerpräsident Netanyahu will die Errichtung ziviler Atomreaktoren aufgrund der Ereignisse in Japan "noch einmal überdacht werden". Er bezeichnete Israel schon aufgrund seiner geringen Fläche als sehr gefährdet bei Umweltkatastrophen.
(APA, Red.)