Zum Hauptinhalt springen

"Weitermachen und Brexit liefern"

Von Siobhán Geets

Politik

Nach der Schlappe bei den Lokalwahlen schließt May ein zweites Referendum angeblich nicht mehr aus. Ein Kompromiss mit Labour-Chef Corbyn über einen sanften Brexit könnte ausgerechnet an dessen eigenen Leuten scheitern.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

London. Rückt ein zweites Brexit-Referendum näher? Immerhin scheint Premierministerin Theresa May dieses Szenario zu prüfen. Wie der "Daily Telegraph" mit Verweis auf Insider berichtet, berät May mit ihren Ministern über die Möglichkeit, das Volk noch einmal zu befragen. Bei einem zweiten Referendum hätten die Wähler die Option zwischen einem EU-Austritt mit dem Deal der Premierministerin, einem ungeordneten No-Deal-Brexit oder einem Verbleib in der EU. Das gelte aber nur, falls die Gespräche mit der oppositionellen Labour Party scheitern und eine Mehrheit im Parlament den Vorschlag nach einem Referendum unterstützt.

Offiziell war May immer gegen eine erneute Volksbefragung gewesen. Es habe keine Gespräche über diese Option gegeben, hieß es auch am Montag nach dem Zeitungsbericht aus ihrem Kabinett. Sollten die Gespräche mit Labour scheitern, wolle die Tory-Chefin das Parlament noch einmal über die Brexit-Alternativen abstimmen lassen. Um welche Vorschläge es sich dabei handeln soll, ist unklar. Am knappsten war beim letzten Mal die Abstimmung über einen dauerhaften Verbleib in der Zollunion der EU ausgegangen. Auf eine Mehrheit hatten lediglich drei Stimmen gefehlt.

Wollen Wählereinen raschen Brexit?

Mays Plan B, sollte er tatsächlich existieren, ist wohl die Folge einer weiteren Niederlage der Konservativen. Mehr als 1330 Sitze haben die Tories bei den englischen Lokalwahlen vergangene Woche verloren. Labour hat davon nicht profitiert, sondern selbst 83 Stellen eingebüßt. Im Wahlergebnis sehen die beiden Großparteien den Wunsch der Wähler, den Brexit endlich durchzuziehen. "Lassen Sie uns ein Geschäft abschließen", schrieb May im "The Mail on Sunday". Labour-Chef Jeremy Corbyn forderte sie auf, "auf die Wähler zu hören und unsere Differenzen für einen Augenblick zur Seite zu legen". Die Botschaft laut May: "Weitermachen und Brexit liefern". Corbyn sieht das ähnlich: "Wir brauchen einen Deal, das Parlament muss das Problem lösen", sagte er am Freitag.

Die Wahlschlappe als Wunsch nach einem raschen EU-Austritt zu interpretieren ist eine äußerst interessante Auslegung. Immerhin haben just jene proeuropäische Parteien dazugewonnen, die den Brexit ganz abblasen wollen. Doch das passt weder den Konservativen noch den Sozialdemokraten ins Konzept. Mit Verweis auf das Referendum von 2016, in dem 52 Prozent für den EU-Austritt gestimmt hatten, wollen sie den Willen der Wähler nun schnellstmöglich durchziehen - um sich dann auf die Fahnen schreiben zu können, das Desaster abgewandt und die Demokratie hochgehalten zu haben. Das gilt auch für Corbyn: Der Labour-Chef weigert sich beharrlich, der Forderung seiner Parteibasis nach einem zweiten Referendum nachzukommen.

Tories stimmen gegeneigene Überzeugung

Doch nicht nur die Niederlage bei den Kommunalwahlen erhöht den Druck auf die beiden Großparteien, rasch zu einer Lösung zu finden. Noch höhere Verluste drohen bei den Europawahlen Ende Mai, bei denen auch die neue Brexit-Partei von Ex-Ukip-Chef Nigel Farage antreten wird. Will May verhindern, dass ihr Land am Urnengang teilnimmt, muss schnell eine Lösung auf den Tisch.

Doch wie könnte die aussehen? Der Vorstoß für einen Verbleib in der Zollunion der EU bis 2022 ist bei Labour nicht auf Begeisterung gestoßen. Corbyn will eine enge Anbindung an die EU, während May einen Rückzug aus Binnenmarkt und Zollunion anstrebt, damit London seine Handelsbeziehungen und die Einwanderungspolitik wieder selbst bestimmen kann. Am Dienstag sollen die Gespräche im Sinne einer raschen Lösung im Brexit-Streit weitergehen, heißt es von beiden Seiten. Das Problem: Es ist alles andere als sicher, dass die Abgeordneten in Westminster einem Kompromiss zwischen May und Corbyn zustimmen - selbst, wenn es sich dabei um den dauerhaften Verbleib in der Zollunion handelt. Zwar ist die Mehrheit der Abgeordneten für einen Verbleib in der EU. Doch mit den Tories ist das nicht zu machen, viele ursprünglich proeuropäische Konservative stimmen gegen ihre eigenen Überzeugungen, um ihre Wähler nicht zu vergrauen oder weil sie fürchten, ihre Partei damit endgültig zu sprengen und antieuropäische Tendenzen zu stärken.

Labour-Parteibasis willzweites Referendum

Gespalten ist aber auch die Labour-Partei. Ein Teil möchte den Brexit durchziehen, ein anderer würde das Austrittsgesuch am liebsten einseitig zurückziehen. Kein Wunder also, dass Labour die meisten Wähler an die geschlossen proeuropäischen Liberaldemokraten verloren hat. Die Parteibasis will das Volk jedenfalls noch einmal befragen - selbst, wenn sich May auf Corbyns Forderung nach dem Verbleib in der Zollunion einlässt. Im Parlament könnte der Vorschlag ausgerechnet an Corbyns eigenen Leuten scheitern. Laut dem "Guardian" weigern sich rund zwei Drittel der Labour-Abgeordneten, ein mögliches Austrittsabkommen ohne ein zweites Referendum zu unterstützen.

Kommen die beiden Großparteien nicht bald zu einer Lösung, dann droht ihnen nicht nur eine herbe Niederlage bei den Europawahlen. Im schlimmsten Fall schlittert das Vereinigte Königreich am 31. Oktober ohne Abkommen aus der EU. Die Verschiebungen des Austrittsdatums, der Streit um die unterschiedlichen Brexit-Varianten - all das wäre dann umsonst gewesen.