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Als Julian Assange Mitte 2010 hunderttausende streng vertrauliche US-Dokumente auf WikiLeaks veröffentlichte, erklärte er sich auch selbst zum Helden. Und die Welt wollte ihm durchaus glauben. War es nicht richtig aufzuzeigen, was alles in den Kriegen im Irak und am Hindukusch schief lief? War es nicht notwendig zu berichten, wie schmutzig und menschenverachtend diese Einsätze in vielen Fällen waren?
Doch Assanges Stern begann ebenso schnell zu sinken, wie er aufgegangen war. Immer öfter drängt sich das dominante Ego des weißblonden Australiers vor die eigentliche Arbeit der Enthüllungsplattform, immer seltener wird WikiLeaks zur Anlaufstelle für Whistleblower und Informanten. Als dann in Schweden auch noch Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs auftauchen, kippt die Situation endgültig. Prominente Unterstützer wenden sich ab, US-Kreditkartenfirmen unterbinden durch ihren Boykott Online-Spenden an WikiLeaks und drehen damit den Geldhahn zu. Und Assange wird vom globalen und bewunderten Propheten der Informationsfreiheit zu einer skurrilen Figur, die aus dem Hausarrest heraus Talkshows für einen russischen TV-Sender produziert und dabei Leute wie Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah interviewt.
Vermutlich wäre der 41-Jährige auch genau das geblieben, hätten die Briten nicht im Zuge eines diplomatischen Aussetzers angedroht, die ecuadorianische Botschaft in London zu stürmen und ihn nach Schweden auszuliefern. Assange kann damit nun wieder an seinem Mythos stricken, unschuldig verfolgt von den Mächtigen der Welt, denen die Wahrheit ein Dorn im Auge ist.
Assange hat aber nicht nur damit einen Punktsieg eingefahren. Die Gewährung diplomatischen Asyls durch Ecuador hat den Streit um die Auslieferung des WikiLeaks-Gründers auch auf ein neues Niveau gehoben. Statt Richtern und Anwälten diskutierten auf einmal die Spitzenpolitiker dreier Länder über das zukünftige Schicksal des 41-Jährigen. Und auch die prominenten Unterstützer wie etwa die Modedesignerin Vivienne Westwood melden sich wieder zu Wort.
Allerdings steht Assange nun in gewisser Hinsicht auch unter Zugzwang. Nachdem Schweden am Dienstag versichert hat, ihn nicht an die USA auszuliefern, falls ihm dort wegen seiner Enthüllungen die Todesstrafe droht, gehen dem Australier zunehmend die Argumente aus, warum er sich nicht den Fragen der schwedischen Strafverfolgungsbehörden stellen will. Bisher hat Assange die Vorwürfe zwar stets bestritten, aber auch nicht unbedingt etwas zu deren Klärung beigetragen.