Streitschlichter zwischen Gemeinschaftsorganen. | Große Aufgabe: Grundrechte sichern. | Luxemburg. Laut Eurobarometer liegt der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit einer Vertrauenswürdigkeit von etwas mehr als 50 Prozent nur knapp hinter dem Europa-Parlament.
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Das ist nicht verwunderlich, ist er es doch, der dem Gemeinschaftsbürger letztlich zur Durchsetzung seiner Rechte verhilft und so gesehen auch das bürgernächste Organ ist. Die Gemeinschaftsbürger haben ihm etwa zu verdanken, dass sie Schadenersatz vom Staat erhalten können, wenn dieser gegen Gemeinschaftsrecht verstößt.
Auf der anderen Seite häuft sich aber die Kritik. Die Frage, wer die Wächter bewacht, die zur Verhinderung von Machtmissbrauch und Rechtsverletzung bestellt sind, wird so seit einiger Zeit auch für den EuGH gestellt.
Wie weit reicht dessen Kompetenz? Und welche "Macht" hat er wirklich?
Kontrollkompetenzen des EuGH
Die Kompetenzen des Höchstgerichts ergeben sich aus den EU-Verträgen. Der EuGH darf nur die Zuständigkeiten ausüben, zu denen ihn die Mitgliedstaaten ermächtigen.
Am stärksten ist seine Kontrollkompetenz für rechtliche Auseinandersetzungen zwischen Gemeinschaftsorganen.
Solche Auseinandersetzungen sind eigentlich immer vor einem machtpolitischen Hintergrund zu sehen, geht es doch zumindest indirekt um Kompetenzstreitigkeiten und damit Einflussmöglichkeiten.
Etwas schwächer ist die Kontrollkompetenz des EuGH für Auseinandersetzungen zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaat, nämlich hinsichtlich der Einhaltung gemeinschaftsrechtlicher Verpflichtungen auf beiden Seiten.
Klage, um nationale Ansicht durchzusetzen
Wenn ein oder mehrere Mitgliedstaaten gegen ein Gemeinschaftsorgan klagen, dann ist das oft auch die Reaktion darauf, dass die jeweilige nationale Ansicht sich im gemeinschaftlichen Rechtsetzungsprozess nicht durchgesetzt hat. Die umgekehrte Konstellation wird allerdings viel unmittelbarer empfunden: Die Gemeinschaft gegen einen Mitgliedstaat.
Bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Mitgliedstaat und Privaten hat der EuGH schließlich die Kompetenz zur Auslegung und Gültigkeitskontrolle des Gemeinschaftsrechts.
Der EuGH hat damit naturgemäß großen Einfluss auf den Inhalt von Gemeinschaftsrecht, insbesondere wenn es um Auslegungsfragen geht. Gibt es mehrere Alternativen, wie eine Gemeinschaftsbestimmung ausgelegt werden kann, entscheidet der EuGH, welche Auslegung zutreffend ist.
Darüber hinaus enthält eine Vielzahl von Rechtsakten des Gemeinschaftsrechts beabsichtigt oder unbeabsichtigt Regelungslücken. Aufgabe des EuGH ist es dann, diese unter "Wahrung des Rechts" zu schließen. So obliegt es zum Beispiel auch dem Gerichtshof, die Grundrechte zu sichern, obwohl das Primärrecht derzeit keinen rechtsver-bindlichen Grundrechtskatalog enthält.
Mitgliedstaaten üben Kritik an Zuständigkeit
Dabei kann er nur die Zuständigkeiten ausüben und die Fragen beantworten, zu denen ihn die Mitgliedstaaten ermächtigen. Und das ist auch der entscheidende Punkt für die jüngste Kritik am EuGH. Denn diese richtet sich weniger darauf, dass der EuGH entscheidet, sondern wie er entscheidet - nach Dafürhalten der Mitgliedstaaten zu Lasten ihrer Zuständigkeiten.
Die Autorin war Generalanwalt am EuGH von 2000 - 2006, zuletzt Erster Generalanwalt. Ein ausführlicher Beitrag zu dem Thema erscheint auch in der Zeitschrift "Nova &Varia" des Juristenverbandes.