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Die Ukraine wird wohl westliche Kampfpanzer bekommen. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Panzer-Debatte.
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Elf Monate nach dem russischen Überfall scheint es nun nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis die Ukraine auch Kampfpanzer westlicher Bauart bekommt. Vor allem Polen und Großbritannien setzen Deutschland unter Druck, seine zögerliche Haltung aufzugeben und im Rahmen einer länderübergreifenden Panzer-Allianz der Lieferung der "Leopard 2" zuzustimmen. Doch welche Rolle können die westlichen Panzer in der Ukraine überhaupt spielen?
Welche Panzer wurden schon geliefert? Was wurde der Ukraine noch versprochen?
Bereits in den ersten Kriegsmonaten haben Tschechien und vor allem Polen Kampfpanzer in die Ukraine geschickt. Geliefert wurden mehr als 250 T-72, die noch in der Sowjetunion hergestellt wurden. Auch dutzende Schützenpanzer, die noch aus den Beständen des Warschauer Paktes stammen, wurden der Regierung in Kiew zur Verfügung gestellt. In den kommenden Wochen und Monaten soll die Ukraine nach langem Ringen nun auch westliche Baumuster bekommen. Deutschland will 40 Schützenpanzer vom Typ "Marder" liefern, die USA knapp 50 Stück des in die selbe Kategorie fallenden "Bradley". Ebenfalls versprochen ist die Lieferung von zehn französischen AMX-10 RC, einem sechsrädrigen leichten Spähpanzer.
Was unterscheidet Kampfpanzer von Schützenpanzern?
Die beiden Panzertypen haben im Gefecht unterschiedliche Aufgaben und sind dementsprechend anders konstruiert. Kampfpanzer wie der deutsche "Leopard 2", der amerikanische "M1 Abrams" oder die russischen T-72-Weiterentwicklungen sollen mit hoher Feuerkraft die befestigten Linien des Feindes durchbrechen und andere Kampfpanzer bekämpfen. Dafür sind die zwischen 40 und 65 Tonnen schweren Fahrzeuge dick gepanzert und verfügen über eine große, durchschlagskräftige Kanone mit einem Kaliber von 105 Millimeter aufwärts, wobei die neueste Generation durchwegs mindestens 120 Millimeter beträgt.
Im Gegensatz dazu liegt die Hauptaufgabe der Schützenpanzer darin, Infanteriesoldaten geschützt über das Schlachtfeld zu transportieren und diese dann so abzusetzen, dass sie zu Fuß im Gefecht eingreifen können. Die durchschnittlich sechs bis acht Fußsoldaten, die neben Kommandant, Richtschütze und Fahrer mit an Bord sind, können den Schützenpanzer über zumeist am Heck gelegene Klappen verlassen. Die leichteren und wesentlich schwächer gepanzerten Schützenpanzer verfügen über eine deutlich kleinere Kanone, deren Kaliber beim Marder bei 20 Millimetern liegt und beim russischen BMP-3 bei 100 Millimetern. Damit lässt sich in der Regel wenig gegen Kampfpanzer ausrichten, Schützenpanzer können aber andere leicht gepanzerte Fahrzeuge und Infanteriestellungen bekämpfen und den abgesessenen Fußsoldaten Feuerschutz geben. Der amerikanische Bradley hat allerdings zusätzlich gelenkte TOW-Raketen mit an Bord, mit denen sich auch Kampfpanzer ausschalten lassen.
Es gibt unzählige Bilder von zerstörten Panzern. Sind Panzer denn überhaupt noch zeitgemäß?
Moderne schultergestützte Panzerabwehrlenkwaffen wie die britische Nlaw oder die amerikanische Javelin, die nach dem Abschuss steil nach oben steigen und dann die wenig gepanzerte Turmoberseite treffen, haben den Panzer ohne Zweifel verwundbarer gemacht. Vor allem bei den russischen T-72-Varianten kommt es dann auf Grund des im Turm eingebauten Munitions-Ladekarussells oft zu massiven Explosionen, bei denen der Turm meterhoch in die Luft geschleudert wird. Trotz der neuen Bedrohung gibt es laut Militärexperten derzeit aber keine echte Alternative zu Panzern - vor allem wenn es um Offensivoperationen geht. Die Panzertruppen verfügen über "eine hohe Dynamik und hohe Mobilität", sagt Brigadegeneral Björn Schulz, Kommandeur der Panzertruppenschule der deutschen Bundeswehr.
Wie lässt sich die gestiegene Verwundbarkeit von Panzern kompensieren?
Panzer sind bei weitem nicht die einzige Waffengattung, die verwundbar ist, wenn sie isoliert eingesetzt wird. So sind Infanterieeinheiten etwa durch Artilleriefeuer, das mittels Drohnen ausgerichtet und korrigiert wird, gefährdet, tieffliegende Erdkampfflugzeuge können von kleinen Fußtrupps mit schultergestützten Flugabwehrlenkwaffen abgeschossen werden. Als effektive Gegenstrategie gilt das sogenannte Gefecht der verbundenen Waffen, bei dem die einzelnen Gattungen koordiniert zusammenwirken und sich gegenseitig unterstützen und schützen. Im Falle eines Angriffs würden zuerst etwa Artillerie- und Luftschläge durchgeführt, um gegnerische Stellungen zu schwächen, bevor dann Kampf- und Schützenpanzer gemeinsam vorstoßen. Den von den Schützenpanzern abgesessenen Panzergrenadieren käme dabei nicht zuletzt die Aufgabe zu, die eigenen gepanzerten Fahrzeuge gegen sich anschleichende feindliche Panzervernichtungstrupps zu verteidigen.
Warum haben Europa und die USA bisher immer gezögert, westliche Kampfpanzer zu schicken?
Unabhängig davon, wie groß das Engagement europäischer Staaten und der USA in der Ukraine ist: Konsens herrscht darüber, dass man selbst nicht Kriegspartei in der Ukraine ist. Eigene Soldaten am Kriegsschauplatz sind daher tabu. Waffenlieferungen an die Ukraine und die Ausbildung ukrainischer Soldaten an westlichen Waffen machen Staaten rechtlich gesehen noch nicht zur Kriegspartei. Diese völkerrechtlich klare Position wurde jedoch von politischen Debatten überlagert, Waffenlieferungen könnten zu einer Eskalation führen und Russland könnte den Lieferanten zum legitimen Angriffsziel erklären. Größtes Schreckensszenario ist dabei die Gefahr eines Atomkrieges. Der Kreml weiß um diese Angst und instrumentalisiert sie bei Bedarf.
Besonders intensiv treten die Diskussionen um mögliche Kriegsfolgen in Deutschland zutage, wo die Erinnerung an die eigene Kriegsschuld im 20. Jahrhundert stets mitschwingt. Erst nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine konnte sich die Ampelkoalition zu Waffenlieferungen durchringen. Umgekehrt gilt, je weniger Angst eine Regierung und die Bevölkerung vor Russland zeigen, desto offensiver agieren sie. Estland lieferte bereits vor Kriegsbeginn Ende Februar 2022 Panzerabwehrraketen an die Ukraine, als Deutschland nur 5.000 Helme anbot. Die Bundesregierung in Berlin benötigte bis Ende April, bis Kanzler Olaf Scholz (SPD) nach Druck der Koalitionspartner Grüne und FDP die Grundsatzentscheidung fällte, dass Deutschland Flugabwehrpanzer vom Typ "Gepard" liefern wird.
Die nunmehrige Diskussion, ob EU-Länder Leopard-Kampfpanzer an die Ukraine liefern sollen, läuft ähnlich wie bisherige ab: Die Ukraine fleht geradezu laufend um militärische Aufrüstung, doch gehört wird sie in Deutschland primär, wenn sie sich in der Defensive befindet oder in diese zu geraten droht. Einzelne Staaten preschen dann bei den Lieferungen vor und bringen damit Deutschland unter Zugzwang. Während die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock nun sagt "Ich kann verstehen, wie sehr es drängt", erklärt Polens Präsident Andrzej Duda bereits, dass sein Land "Leopard"-Panzer liefern werde, wenn andere Verbündete mitziehen. Auch Großbritannien hatte zuletzt noch einmal den Druck in dieser Sache erhöht. So wird die Regierung in London beim Treffen der Ukraine-Unterstützer im deutschen Ramstein Ende kommender Woche, wohl die Lieferung von zehn Kampfpanzern vom Typ "Challenger 2" ankündigen.
Warum geht es vor allem um den "Leopard"?
Die ukrainische Bitte um "Leopard"-Kampfpanzer ist nicht neu, und sie wurde früh gehört: Bereits im April stellte sich der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall darauf ein, 50 Stück binnen sechs Wochen an die Ukraine zu liefern - sofern die Regierung in Berlin zustimmt. Dabei handelte es sich um ausgemusterte Exemplare des Typs 1, die bereits vor langer Zeit von Rheinmetall zurückgenommen wurden.
Für den Nachfolger "Leopard 2", über dessen Lieferung nun diskutiert wird, spricht vor allem seine breite Verfügbarkeit. 13 europäische Staaten unterhalten gemeinsam rund 2.000 Stück. Gleichzeitig dürfte der "Leopard 2" für die Ukraine einfacher zu handhaben sein. So sind die Logistikketten, die für den Betrieb notwendig sind, beim im Prinzip vergleichbaren "Abrams" deutlich komplexer.
Allerdings befinden sich die in Europa stationierten "Leoparden" in völlig unterschiedlichen Zuständen. Spanien prüfte im vergangenen Jahr die Weitergabe seiner Exemplare, doch das Verteidigungsministerium kam zum Schluss, dass sich das Gerät in "absolut beklagenswerten Zustand" befinde. Und von den 13 Ländern wird beispielsweise Österreich mit Sicherheit kein Exemplar bereitstellen.
Wie gut sind westliche Kampfpanzer im Vergleich zu russischen?
Selbst bei den neuen russischen Kampfpanzer vom Typ T-80 und T-90 handelt es sich in Wahrheit um Weiterentwicklungen des 1972 eingeführten und massenhaft eingesetzten T-72. Verbessert wurden bei den T-72 Varianten etwa die Panzerung oder die Zieloptiken. Generell schätzen Militärexperten westlichen Modelle wie den "Leopard 2", den "M1 Abrams" oder den "Challenger 2" als kampfstärker ein. Während der Operation "Desert Storm" konnten die "Abrams" der US-Armee, die dank einer stabilisierten Kanone auch in Bewegung feuern können, die irakischen T-72 ausschalten, noch bevor diese nahe genug herangekommen waren, um selbst einen Treffer zu landen. In der berühmt gewordenen Schlacht von 73 Easting verlor die Armee Saddam Husseins auf diese Weise knapp 180 Panzer, während auf Seite der Vereinigten Staaten kein einziger Kampfpanzer verloren ging. In der Ukraine könnte allerdings das geringere Gewicht der russischen Panzer einen Vorteil bringen. Denn mit den aufgeweichten Böden dürften die westlichen Modelle eventuell schwerer zurechtkommen als die kleineren russischen Panzer.