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Die ganz große Herausforderung ist die Bevölkerungsexplosion, mit der die wirtschaftliche Entwicklung Schritt halten muss.
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Optimisten, die daran geglaubt haben, die afrikanischen Länder würden sich nach ihrer Unabhängigkeit in den 1960ern in demokratischen Gemeinwesen rasch entwickeln, wurden enttäuscht. Panafrikanismus, afrikanischer Sozialismus und die Lehre von der "Negritude" boten zwar die geistigen Grundlagen, um die Jahrzehnte des Kolonialismus und Imperialismus zu überwinden, Aber sehr bald erfassten Kriege und Bürgerkriege groß und kleine Länder. Zu willkürlich waren die aus der Kolonialzeit stammenden staatlichen Grenzen gezogen. In den vergangenen Jahren sind Terroristen - 2017 waren es schon 52.000 -, inspiriert durch den islamischen Fundamentalismus, vor allem in der Sahel-Zone zunehmend aktiv geworden. Alleine von 1958 bis 1992 putschten sich 63 Diktatoren an die Macht.
Die ganz große Herausforderung für Afrika in den nächsten Jahrzehnten ist die Explosion seiner Bevölkerung. Afrika zählte zu Beginn der 1950er rund 240 Millionen Menschen, damals gerade einmal 7 Prozent der Weltbevölkerung - heute sind es 1,3 Milliarden, also 16 Prozent, und diese Zahl wird sich in nur einer Generation verdoppeln. Am Ende dieses Jahrhunderts werden laut Berechnungen der UNO 4,5 Milliarden Menschen in Afrika leben, mehr als 40 Prozent der gesamten Weltbevölkerung.
Diese Entwicklung betrifft die arabischsprachigen Staaten im Norden des Kontinents genauso wie die Länder südlich der Sahara. So zählte Ägypten 1961 noch 28 Millionen Einwohner, 2020 aber bereits 102 Millionen. Im selben Zeitraum stieg die Bevölkerung Algeriens von 11,4 Millionen Menschen auf 44 Millionen. Besonders dramatisch war die demografische Entwicklung in Nigeria, wo 1961 erst 45 Millionen Menschen lebten, während es heute 211 Millionen sind. Im selben Zeitraum erlebte Kenia einen Anstieg der Bevölkerung von 8 Millionen auf 54 Millionen; bis 2050 soll sich diese auf 92 Millionen Einwohner fast verdoppeln.
Die Zukunft Afrikas wird nun ganz entscheidend davon abhängen, wie weit die wirtschaftliche Entwicklung mit der Bevölkerungsexplosion Schritt halten kann. Das wiederum hängt mit der Frage zusammen, wie weit es gelingen wird, funktionierende staatliche Strukturen zu schaffen. Einige Statistiken zeigen auf, dass die Bildungssysteme massiv ausgebaut wurden; oder dass es gelungen ist, Malaria in den Griff zu bekommen. Aber kaum wird ein Land wie Äthiopien als positives Beispiel für andere hingestellt, bricht auch dort ein Bürgerkrieg aus, und vieles wird wieder zunichtegemacht.
Gewaltige Migrationswellen aus Afrika stehen bevor
Manche Lösungen schaffen neue Probleme. Wenn man etwa die unzähligen kleinen landwirtschaftlichen Betriebe zusammenlegt, um größere Flächen industriell nutzen zu können, verlieren viele Menschen ihre Jobs. Werden dann nicht gleichzeitig neue in der Industrie geschaffen, steigt die Zahl der Arbeitslosen. Darüber, wie weit Entwicklungshilfe zielführend ist, gibt es unterschiedliche Meinungen. Ökonomen wie Milton Friedman oder Dambisa Moyo sind entschiedene Kritiker. Ein Staat sollte sich darauf konzentrieren, Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen. Finanzielle Zuschüsse aus dem Ausland führen lediglich zu Verschwendung und Korruption. Andere, wie Jeffrey Sachs oder Joseph Stiglitz, sprechen sich dagegen sogar für eine Erhöhung der öffentlich gespendeten Mittel aus. Immerhin wurden in den vergangenen zwei Generationen etwa 4 Billionen Dollar an Hilfen geleistet; aber immer noch leben 40 Prozent der Afrikaner in extremer Armut, müssen also mit weniger als 2 Dollar pro Tag auskommend.
Jedenfalls werden sich die Europäer darauf einstellen müssen, dass in den nächsten Jahren und Jahrzehnten gewaltige Migrationswellen aus Afrika kommen werden. Heute kommen 1,5 Prozent der Menschen, die in Europa leben, aus Afrika, in einer Generation werden es 25 Prozent sein, hat der frühere französische Botschafter Nicolas Normand errechnet. Nachdem das seinerzeit in Dublin ausgehandelte Asyl-System der EU zusammengebrochen ist, wäre es an der Zeit, in Brüssel eine kohärente Migrationsstrategie zu entwickeln. Der Hinweis, dass die Probleme an der Wurzel, also in den betroffenen Ländern selbst gelöst werden müssen, hat die vergangenen 60 Jahre nichts gebracht.
Was eventuell funktionieren könnte, wäre eine Reaktivierung des Treuhandrates der Vereinten Nationen mit der Möglichkeit, bei einer einem Land gewährten Hilfe, zumindest in den "gescheiterten Staaten", deren Verwendung direkt mitgestalten zu können. Aber das steht natürlich im Widerspruch zur nationalen Souveränität und zum Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates.
Der neue Kalten Krieg wird auch Afrika erfassen
Dabei kann man davon ausgehen, dass im Rahmen des neuen Kalten Krieges, der auch Afrika erfassen wird, die Souveränität auch der afrikanischen Länder beeinträchtigt wird. Die USA haben den "Krieg gegen den Terrorismus" bereits dazu benutzt, ihre militärische Präsenz und ihre "intelligence gathering facilities" auszubauen. Frankreich hat seine frühere Position als Kolonialmacht in die Politik "France Afrique" umgewandelt, also den früheren Einfluss in neuen Verträgen festgehalten. China ist schon heute mit rund 10.000 Wirtschaftsprojekten der größte Investor auf dem afrikanischen Kontinent; Russland hat militärische und wirtschaftliche Schwerpunkte punktuell ausgebaut. Machtpolitische Beeinträchtigungen der nationalen Souveränität werden also hingenommen, während man das im Bereich der Entwicklungspolitik nicht erlaubt. Europa sollte bemüht sein, seine Strategie auf "Human Security" und nicht auf Machtpolitik auszurichten.
Entscheidend wird sein, ob es gelingt, großartige afrikanische Leistungen in Bereichen wie Kunst, Kultur oder Sport in anderen Gebieten umzusetzen. So war 2021 zweifellos das Jahr der afrikanischen Literatur. Autoren und Autorinnen aus Afrika gewannen den Nobelpreis (Abdulrazak Gurnah), den Booker-Prize (Damon Galgut), den Prix Goncourt (Mohamed Mbougar Sarr) sowie den Prémio Camoes (Paulina Chiziane), um nur einige zu nennen.
Schon 1984 wurde in der beeindruckenden Ausstellung "Primitivism in 20th Century Art" im MoMa in New York aufgezeigt, wie stark die afrikanische Kunst die französische Avantgarde (Matisse, Picasso, Braque) sowie die deutsche Moderne (Kirchner, Nolde, Pechstein) beeinflusst hat. Fußballer aus Afrika sind aus dem Weltfußball genau so wenig wegzudenken wie Rugby-Stars, Leichtathleten, Basketballer oder die Rallyes.
Die Frage ist nun, ob all diese Eigenschaften, die Senegals erster Präsident Leopold Senghor als typisch für die "Negritude" hervorgehoben hat, auch in jenen Bereichen zum Tragen kommen, die die Moderne prägen: Technik und Wirtschaft, Forschung und Produktion. Wie immer sich die Zukunft Afrikas entwickelt, eines steht wohl fest: Information und Kommunikation tragen dazu bei, dass dieser Kontinent und unserer immer enger verbunden werden. Wir bilden eine Schicksalsgemeinschaft.
Eine Langfassung dieses Textes ist in der aktuellen Ausgabe von "International - Die Zeitschrift für internationale Politik" erschienen (https://international.or.at/).