Die Trennung zwischen privaten und öffentlichen Interessen ist in der Praxis häufig schwierig.
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Wenn Bauprojekte Schlagzeilen machen, stecken meistens erhebliche Probleme dahinter. Oft ist dann zu lesen: Das Projekt wäre baureif, es fehle nur noch die Umwidmung im Flächenwidmungsplan beziehungsweise dem Bebauungsplan. Das Bauprojekt am Heumarkt in Wien ist nur eines von zahlreichen Beispielen.
Nur noch die Umwidmung? Das wirft die Frage auf, wie Flächenwidmungen zustande kommen. Auf Zuruf von privaten Interessenten oder aufgrund übergeordneter Notwendigkeiten? Man könnte auch anders fragen: Welchen Interessen ist eigentlich die Raumordnung verpflichtet?
Auf den ersten Blick scheint die Antwort recht einfach zu sein. Raumordnung ist eine politische Aufgabe, und Politik hat dem öffentlichen Interesse zu dienen. Diese Forderung, die schon vor mehr als 2000 Jahren Aristoteles erhoben hat, findet sich auch explizit in den meisten Raumordnungs- und Raumplanungsgesetzen der Bundesländer. Dass dabei das öffentliche Interesse auch als Interesse des "Gemeinwohls" (Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Kärnten) oder des "allgemeinen Besten" (Vorarlberg) bezeichnet wird, zeigt einerseits die sprachliche Vielfalt, lässt aber gleichzeitig erahnen, dass die Sache mit dem öffentlichen Interesse doch etwas komplizierter ist.
Wer in diesen Gesetzen nach einer klaren Definition des öffentlichen Interesses sucht, wird verblüfft sein: Es ist keine vorhanden. Auf diesen Begriff nehmen die Planungsgesetze zwar ständig Bezug, lassen die Entscheidung über Inhalt und Wertigkeit des öffentlichen Interesses aber für den Einzelfall offen.
Im Prinzip ist die Sache klar: Das öffentliche Interesse bildet den Gegenpol zum privaten Interesse. Und öffentliche Interessen gehen vor Privatinteressen (das steht sogar ausdrücklich im Kärntner Raumordnungsgesetz).
In der Praxis liegt zwischen öffentlichem und privatem Interesse ein Spannungsfeld, dem sich kein Politiker entziehen kann. Denn das öffentliche Interesse ist ein abstrakter Begriff und hat kein Gesicht, das private Interesse hat aber tausende Gesichter, die vehement Lobbying in eigener Sache betreiben. Wer als Bürgermeister(in) gerade erst gewählt wurde und gelobt hat, dem öffentlichen Interesse seiner Gemeinde zu dienen, wird unter den Gratulanten auch schon die ersten Bittsteller antreffen, die um Hilfe im Kampf gegen bestehende Regelungen der Gemeinde, wie etwa die Festlegungen des Flächenwidmungs- oder Bebauungsplanes, ersuchen.
Schwierige Abwägung
Und so ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass ein erheblicher Teil der Änderungen, die Gemeinden in ihren Flächenwidmungs- und Bebauungsplänen vornehmen, auf private Initiativen zurückgehen. Private Interessen mit Verweis auf den Vorrang des öffentlichen Interesses in jedem Fall abschmettern zu wollen, wäre zwar einfach, ist aber nicht sachgerecht. Denn die Verwirklichung einzelner privater Interessen kann durchaus auch im öffentlichen Interesse liegen, wie zum Beispiel eine Betriebsneugründung, die zahlreiche neue Arbeitsplätze schafft. Der prinzipielle Unterschied zwischen privaten und öffentlichen Interessen ist also noch nicht zwingend ein Gegensatz. Um im Sinne des Gemeinwohls weiterzukommen, wäre also zu untersuchen, welche Auswirkungen ein einzelnes Vorhaben hat und ob beziehungsweise in welcher Weise und Wertigkeit öffentliche Interessen berührt sein könnten.
Dieses Abwägungsgebot (das übrigens im Vorarlberger Raumplanungsgesetz und im Salzburger Raumordnungsgesetz ausdrücklich enthalten ist) gilt erst recht für die Beurteilung der öffentlichen Interessen untereinander. Denn diese sind keineswegs widerspruchsfrei.
Ein kleines Beispiel dazu: Die Erhaltung guter landwirtschaftlicher Böden, die Schaffung von Erholungsräumen, die Ansiedlung von Gewerbebetrieben und die Reservierung ideal liegender Flächen für Wohnsiedlungszwecke liegen alle im öffentlichen Interesse. Wenn aber nun eine bestimmte Fläche für alle diese Nutzungen gleichermaßen geeignet ist (was gar nicht so selten vorkommt), welche Flächenwidmung soll eine Gemeinde dann im Flächenwidmungsplan festlegen?
Zur Vorbereitung solcher Entscheidungen ist ein intensiver Abwägungsvorgang auf hohem sachlichen Niveau nötig. Aber auch diese technische Ebene der Raumplanung bringt oft nicht automatisch eine einzig richtige Lösung. In diesen Fällen wird die politische Seite der Raumordnung sichtbar, und es wäre nicht sinnvoll, den politischen Spielraum und die politische Verantwortung auf Gerichte oder noch umfangreichere gesetzliche Vorgaben abwälzen zu wollen.
Rechtssicherheit ist elementar
Die rechtliche Ebene der Raumordnung kommt dafür umso stärker zum Tragen, wenn die politische Entscheidung gefallen ist und in rechtsverbindliche Pläne (wie Flächenwidmungs- und Bebauungsplan) umgesetzt wurde. Diese Pläne sollen langfristige Rechtssicherheit bieten und daher auch beständig sein. Sie dürfen nicht leichtfertig, sondern nur aus gewichtigen Notwendigkeiten und den im jeweiligen Gesetz ausdrücklich genannten Anlässen geändert werden.
Zur Frage, wann eine Planänderung zulässig ist, liegt eine bemerkenswert umfangreiche Judikatur vor, die immer wieder auf die erhöhte Bestandskraft dieser Pläne abzielt. Selbst wenn eine Gemeinde im Nachhinein erkennt, dass eine andere Festlegung besser geeignet gewesen wäre, berechtigt das allein noch nicht zur Änderung der Pläne.
Wer in der Praxis tätig ist, weiß, dass die zweifelhafte Notwendigkeit von Planänderungen keine Randerscheinung, sondern ein ganz zentrales Problem im Raumordnungsalltag darstellt.
Die Versuchung, nicht das Bauprojekt an den verordneten Plan anzupassen, sondern diesen Plan im Sinne des Projektes zu ändern, wenn sich daraus Vorteile für die Gemeinde ergeben könnten, ist permanent vorhanden und so alt wie die Raumordnung selbst. Na klar, auch der Vorteil für die Gemeinde ist als öffentliches Interesse zu sehen. Aber es ist auch zu erkennen, dass öffentliche Interessen nicht gleichwertig sind. Das Interesse der Bevölkerung nach Rechtssicherheit ist nicht nur ebenfalls ein öffentliches Interesse, sondern auch ein viel fundamentaleres.
Michael Maxian arbeitet seit 40 Jahren als Raumplaner. Er war lange Zeit im Amt der niederösterreichischen Landesregierung beschäftigt und ist nun als Konsulent und Universitätslektor tätig.