EHEC: Es gibt Tote, viele Menschen kämpfen ums Überleben, bleibende Schäden sind zu befürchten - es ist Zeit, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie unsere Nahrungsmittel produziert werden.
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Fakt ist: Es gibt einen EHEC-Erreger, und der muss über die Nahrungsmittelkette auf den Menschen übergegangen sein. Fakt ist auch, dass jede verantwortungsvoll handelnde Regierung die Bevölkerung vor möglichen EHEC-Quellen warnt - ob nun Tomate, Salat, Sprosse oder Gurke. Schließlich wurden auf ihnen Erreger gefunden, bloß eben nicht jene gefährlichen. Fakt ist auch, dass man mit Warnungen nicht bis zum Abschluss zeitaufwendiger Laboruntersuchungen warten kann, will man nicht fahrlässig sein. Finanzielle Einbußen der Erzeuger dürfen kein Entscheidungskriterium sein, das Leben hat Vorrang.
Fakt ist auch, dass ein oder mehrere schwarze Schafe für die EHEC-Krise verantwortlich sind. Die ganze Hysterie hat, wenn man so will, ihre Ursache in den Reihen der Gemüseproduzenten. Konkret in der Massenherstellung von Nahrungsmitteln.
Der Konsument will alles verfügbar haben, zu jeder Jahreszeit und möglichst zum Nulltarif. Was ist das Nahrungsmittel noch wert? Diese Frage ist zu beantworten, und zwar ehrlich. Was ist dem Konsumenten noch die Gesundheit wert? Ist er bereit, hierfür auch einen angemessenen Preis zu zahlen, der dem Produzenten ein Auskommen sichert? Die EHEC-Krise ist genau zur richtigen Zeit gekommen. Sie skizziert die Spitze eines Eisbergs, der alle Nahrungsmittelbereiche einschließt.
Die Discounter, die täglich ihre Nahrungsmittel-Superbillig-Posten anbieten, spiegeln nicht die Realität. Die Hersteller führen einen Überlebenskampf, den ihnen letztlich der Käufer aufzwingt. Günstig, günstiger am günstigsten, aber bitte bei Top-Qualität - das sind die Einkaufskriterien vieler Konsumenten. Doch das geht nur bei Kosten-Minimierung in allen Produktionsebenen und bei Turbo-Wachstum unter eher Natur-untypischen Zuchtbedingungen.
Mit der EHEC-Diskussion hat sich die Frage in die Regale geschlichen: Wie ist es eigentlich möglich, ein leuchtend-knackiges Gemüseprodukt für ein paar Cent an den Konsumenten zu bringen? Die Antwort: Es ist nicht möglich - zumindest nicht unter Einhaltung aller Qualitätsansprüche, die unausgesprochen jeder Konsument an den Erzeuger stellt.
Eine bittere Erkenntnis, die eigentlich nur einen Schluss zulässt: Will man wissen, was drin ist, muss man sehen können, wie das Nahrungsmittel entsteht. "Regional wirtschaften" ist denn auch die Zauberformel, die immer häufiger im Wortschatz einiger Parteien und Experten auftaucht. Soll heißen: regionale Produkte saisonal nutzen.
Wem sein Leben lieb ist, der tut gut daran, dem Bauern auf die Finger zu schauen, um zu sehen, wie er landwirtschaftet. Und man wird es nicht glauben - die meisten Landwirte freuen sich sogar darüber, weil es sich für sie in baren Euro auszahlt. "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser", soll Lenin einst gesagt haben. Er tat dies in einem anderen Zusammenhang, doch am Grundprinzip hat sich deshalb nichts geändert.
Alexander von der Decken ist Allround-Redakteur beim "Weser Kurier" in Bremen.