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Während der letzten 50 Jahre hat sich das internationale Umfeld der Außenpolitik, die Strukturen sowie das Wertbewusstsein wohl mehr geändert als die 500 Jahre vorher. Neben der neuen Legitimation und den neuen Playern in der Außenpolitik wurden gerade während der letzten Jahre zahlreiche nationale Aufgaben auf eine internationale Ebene übertragen, wodurch eine Vermengung von Innen- und Außenpolitik entstanden ist. Vom neuen Wertbewusstsein kann man wohl insofern sprechen, als sich der Begriff der Souveränität geändert hat und der Krieg, zumindest bei uns, nicht mehr einfach als eine Verlängerung der Politik mit anderen Mitteln angesehen werden kann.
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Durch Jahrhunderte, vor allem seit dem Westfälischen Frieden, war die Souveränität der Nationalstaaten ein bestimmendes Wesensmerkmal der internationalen Beziehungen: Demnach konnte ein Staat innerhalb seiner Grenzen die höchste Autorität ausüben und ist, nachdem alle Staaten die gleichen Rechte haben, nach außen keiner übergeordneten Macht unterworfen. So hatte ein Staat das alleinige legitime Recht, zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung und zur Wahrung seiner Ansprüche nach außen Gewalt einzusetzen.
Die Macht des Staates spiegelte die Stellung des Fürsten, der über dem Gesetz stand, wider. Dieser Fürst war sogar in der Lage, Untertanen etwa nach Amerika zu verkaufen und konnte zur Aufrechterhaltung seiner Macht Allianzen schließen oder Kriege erklären.
Nach verschiedenen Theorien der Souveränität war der Prinz als "Ebenbild Gottes" (Jean Bodin) nur diesem verantwortlich und konnte, entsprechend dem Eigentumsbegriff des römischen Rechtes, über "sein Territorium frei verfügen und jeden anderen davon ausschließen". Da diese Theorien in Zeiten entwickelt wurden, als es, wie in England oder Frankreich aufgrund von Glaubenskämpfen oder Bürgerkriegen kräftige interne Unruhen gab, war das Bestreben darauf gerichtet, durch ein klares Machtmonopol Anarchie zu verhindern. Nach den Wirren des 30-jährigen Krieges sollten auch die internationalen Beziehungen auf eine rechtliche und theoretische Basis gestellt werden, deren Kern eben die staatliche Souveränität war.
Klassisches Konzept wurde ausgehöhlt
Während der letzten Jahrzehnte wurde dieses klassische Konzept der Souveränität sowohl international als auch innerstaatlich stark ausgehöhlt: Für viele Staaten, vor allem in Europa, wurde es praktisch denkunmöglich, zur Durchsetzung der eigenen Interessen einfach einen Krieg zu erklären. Technische und wirtschaftliche Entwicklungen entfalteten sich weltweit ohne Rücksicht auf nationale Grenzen und gemeinsame Herausforderungen, wie etwa die Umweltverschmutzung oder der Drogenhandel, verlangen nach gemeinsamen Aktionen.
Natürlich sind nicht alle Staaten von dieser Entwicklung in gleicher Weise betroffen: Unterschiedliche wirtschaftliche und militärische Verhältnisse spielen genauso eine Rolle wie die grundsätzlich politische Haltung dazu, wie die "neue Weltordnung" gestaltet werden soll: Die USA, als einzig verbleibende Supermacht, haben nicht nur militärisch ganz andere Möglichkeiten als irgendein anderer Staat, für sie bleibt der Einsatz militärischer Macht ein integraler Bestandteil ihrer Außenpolitik.
Auch der chinesische Staatspräsident betont immer wieder das "Prinzip der gegenseitigen Achtung der Souveränität und der territorialen Integrität" und Somalia kann es sich leisten, letztlich ohne Rücksicht auf die "internationale öffentliche Meinung" Kriege zu führen oder Abkommen, wie jenes über das Verbot von Kindersoldaten, nicht zu unterzeichnen. Zwischen diesen Extremen - Wahrung der Souveränität aufgrund der eigenen Stärke bzw. Freiraum des Außenseiters - liegt jene "internationale Gemeinschaft" formell souveräner Staaten, die, freiwillig oder gezwungen, einen Verlust sowohl der äußeren als auch der inneren Souveränität hingenommen haben. Dies soll im folgenden kurz dargestellt werden.
Der Verlust der äußeren Souveränität: Das verlorene Machtmonopol
Allianzen und Allianzkriege waren durch Jahrhunderte das wichtigste Instrument der internationalen Politik, die darauf ausgerichtet war, staatliche Macht zu erhalten bzw. auszuweiten. Die Staaten hatten die militärische Macht, Kriege zu führen, um Einfluss zu gewinnen oder um Konflikte zu lösen und waren gewillt, entsprechend zu handeln. Das Staatsinteresse, die "Staatsräson", waren oberste Maxime. Es galt, dem Staat jene Machtmittel zur Verfügung zu stellen und den Untertanen dahingehend zu erziehen, dass diese Mittel entsprechend eingesetzt werden konnten. Die zahlreichen Kriege des 18., l9. und 20. Jahrhunderts, ob es nun um eine dynastische Vorherrschaft, um nationale bzw. ideologische Auseinandersetzungen oder um die Aufrechterhaltung des internationalen Gleichgewichtes ging, sind dafür ein klares Zeugnis.
Diese Situation hat sich während der letzten Jahrzehnte dramatisch geändert, worauf auch im Kapitel über "Das geänderte Wesen des Krieges" genauer eingegangen wird. Hier soll, im Zusammenhang mit der staatlichen Souveränität, lediglich darauf hingewiesen werden, dass die Möglichkeit zur Erhaltung der eigenen Macht oder des eigenen Interesses Kriege zu führen, vielen Staaten ganz oder teilweise verlorengegangen ist. Einerseits konnten oder wollten viele Länder, angesichts der gigantischen Militärausgaben der Supermächte, mit dem Rüstungswettlauf nicht Schritt halten und verloren damit die Möglichkeit, zur Lösung von Konflikten militärische Macht einzusetzen, weil dies ohnehin aussichtslos gewesen wäre. Andererseits hat sich, angesichts der Schrecken der modernen Kriege, doch auch die Ansicht durchgesetzt, dass der Einsatz militärischer Macht nicht das geeignete Mittel zur Beilegung von Streitigkeiten ist. Diese Haltung wird, insbesondere in westlichen Wohlfahrtsstaaten, noch dadurch unterstützt, dass die persönliche Wohlfahrt und nicht die Macht des Staates das eigentliche Ziel der Politik ist.
Internationale Gerichtshöfe und internationale Organisationen sind genauso eine Antwort auf diese Entwicklung wie Militärallianzen. Das Konzept der Souveränität entstand eben, als es im 16. und 17. Jahrhundert galt, das Machtmonopol absolutistischer, zentralistischer Staaten zu legitimieren. Dass sich die Rahmenbedingungen ganz entscheidend geändert haben, wird es wohl notwendig sein, auch das Konzept des Machtmonopols der souveränen Staaten zu überdenken.
Globalisierung und Weltwirtschaft
Einige Wesenszüge der wirtschaftlichen Globalisierung wurden bereits im Zusammenhang mit den multinationalen Konzernen als "neue Player" in den internationalen Beziehungen dargelegt. Hier soll aufgezeigt werden, wie sich die Internationalisierung der Wirtschaft, des Handels und der Finanzströme auf die Verteilung von Macht und Autorität sowie auf die Souveränität der Nationalstaaten ausgewirkt haben.
Die technische Revolution im Bereich der Information, die Ausweitung der multinationalen Konzerne und der Wegfall von Handelsbarrieren haben entscheidend dazu beigetragen, dass ein globaler Markt für den Austausch von Gütern und Kapital entstand. Und selbst am Arbeitsmarkt sind Migrationsströme, weit über traditionell gegebene Grenzen hinaus, entstanden.
Die Zahlen, die aufzeigen, um wie viele Prozent der Welthandel, um wie viele Milliarden die Auslandsinvestitionen in den letzten Jahren gestiegen sind, oder wie groß der Anteil der 200 größten Konzerne an der gesamten Weltproduktion geworden ist, sprechen eine Sprache für sich. Noch bedeutender sind aber die damit verbundenen qualitativen Veränderungen: Nicht mehr die verschiedenen nationalstaatlichen Entscheidungen dominieren die internationale Wirtschaft, es ist vielmehr der "Weltmarkt", dem sich die einzelnen Länder anpassen müssen. So berechtigt jene Stellungnahmen sein mögen, die diese Entwicklung ablehnen oder mehr soziale Ausgewogenheit verlangen, ein Rezept dafür, wie die Produktion von Waren oder die internationalen Finanzströme gerechter aufgeteilt werden könnten, wurde bisher nicht gefunden.
Es sind also die internationalen Märkte und Finanzströme, die nationale Grenzen vielfach gesprengt haben. Auch wenn der Nationalstaat weiter ein wichtiger Akteur in den internationalen Beziehungen bleibt, auch wenn der innerstaatliche Entscheidungsprozess schon deshalb von Bedeutung bleibt, weil die verschiedenen politischen Gruppierungen daran teilnehmen, ein Nationalstaat ist in wesentlichen politischen Entscheidungen kaum mehr souverän. Dabei gibt es starke Kräfte, die diese Entwicklung vorantreiben möchten: Beim geplatzten Gipfel der Welthandelsorganisation (WTO) in Seattle im Dezember 1999 war vorgesehen, die noch bestehenden nationalen Schranken auch im Bereich der Dienstleistungen abzubauen. Dies hätte bedeutet, dass in ganz wesentlichen Bereichen, wo bisher noch eine gewisse staatliche Einflussnahme gegeben war, diese weggefallen wäre, wie etwa bei Banken und Versicherungen, bei der Post, Telekommunikation und Information, ja selbst bei der Müllabfuhr und der Wasserversorgung. Obwohl "Seattle" scheiterte, kann damit gerechnet werden, dass die Bestrebungen weitergehen werden, letztlich alle menschlichen Aktivitäten einer internationalen Konkurrenz auszusetzen.
Erhaltung der Arbeitsplätze
Wie weit bereits jetzt der staatliche Einfluss in wirtschaftspolitischen Fragen zurückgedrängt ist, kann man immer wieder erleben, selbst wenn es um die Erhaltung von Arbeitsplätzen geht: ein typisches Beispiel dafür war der Beschluss von BMW, den früheren britischen Paradebetrieb "Rover" abzustoßen, was immerhin den Verlust von 8.500 Arbeitsplätzen bedeutete. In Berichten hieß es, Ministerpräsident Tony Blair war wegen dieser Entscheidung wütend, sein Industrieminister wurde ins Hauptquartier von BMW geschickt und die Gewerkschaften führten Protestdemonstrationen durch. Geholfen hat alles nichts. BMW verwies darauf, dass bei der gegebenen internationalen Konkurrenz der Verlust von täglich 40 Mill. Schilling nicht länger verkraftet werden könne.
Wird fortgesetzt
Dr. Wendelin Ettmayer ist österreichischer Botschafter in Kanada