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Welcome, Lohndumping?

Von Christian Ortner

Gastkommentare
Christian Ortner.

Warum nur niedrigere Löhne bewirken können, dass minder qualifizierte Migranten dringend benötigte Arbeit finden werden.


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Auch wenn es noch ganz gut verdrängt wird: Dass im vergangenen Jahr ziemlich viele Menschen mit teils ziemlich schlechter Ausbildung zu uns kamen und weiter zu uns kommen, wird die Gewerkschaften und andere Interessenvertreter der werktätigen Klasse schon bald vor ein unangenehmes Dilemma stellen.

Denn entweder wird früher oder später ermöglicht, dass ein Teil der Migranten für (noch) weniger Geld arbeitet, als hierzulande derzeit von den Kollektiverträgen und in Deutschland vom Gesetzgeber vorgeschrieben wird - oder die ohnehin schon sehr hohe Arbeitslosenrate wird sich noch deutlich erhöhen, weil dann eben viele der Zugewanderten keinen ihrer bescheidenen Ausbildung angemessen Job finden werden. Deshalb fordern jetzt in Deutschland immer mehr Politiker und Ökonomen, den erst unlängst eingeführten Mindestlohn wieder zu entsorgen, zumindest auf einige Jahre befristet. "Ohne eine Korrektur beim Mindestlohn wird die Fortsetzung der derzeitigen Massenzuwanderung gering Qualifizierter trotz aller guten Absichten zu einer Immigration in die Arbeitslosigkeit führen," meint der renommierte deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn. Noch einen Tick weiter geht Achim Wambach, der neue Chef des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung: "Eine temporäre Aufhebung des Mindestlohns, um diese Menschen in Arbeit zu bringe, ist sinnvoll."

Das hat Konsequenzen, von denen Gewerkschafter verständlicherweise nichts hören wollen. "Ökonomisch betrachtet gibt es eine simple Antwort, was man in dieser Situation tun kann: Man muss den Flüchtlingen weniger zahlen als den Einheimischen. Dann haben sie eine Chance, Jobs zu finden. Wer Flüchtlinge integrieren will, muss Lohndumping betreiben," argumentierte jüngst der dänische Ökonom Jacob Funk Kirkegaard im "Standard".

Ein Argument, das vollkommen schlüssig ist. Denn jene Jobs, die auch schlecht ausgebildeten Menschen zugänglich sind, vermehren sich ja dank des technischen Fortschrittes bekanntlich nicht sehr, und schon gar nicht nur deshalb, weil jetzt sehr viele Menschen zuziehen, die solche Jobs bräuchten.

Akzeptiert man diese eher unangenehme Wahrheit, wird freilich auch klar, was im Herbst der Willkommenskultur deren Proponenten noch vehement bestritten: dass diese Zuwanderung zu hartem Verdrängungswettbewerb ausgerechnet zwischen den untersten sozialen einheimischen Schichten und den Zuwanderern führen wird. Oft also zwischen den Kindern früherer Migranten und den nun Zuziehenden. Außer man akzeptiert achselzuckend, dass die schlecht ausgebildeten Migranten direkt in die Systeme der sozialen Sicherheit einwandern und dort auf unabsehbare Zeit verbleiben - was keine sehr gute Option wäre, aus ganz unterschiedlichen Gründen, die man in Brüssel oder Paris detailliert studieren kann.

Es ist eine eigentümliche Pointe der Geschichte, dass die Gegner einer Aufweichung von kollektivvertraglich oder gesetzlich vorgeschriebener Mindestlöhne oft auch jene sind, die 2015 den Zuzug der Migranten befürworteten. Beide Positionen gleichzeitig weiter zu vertreten, dürfte freilich auch den schlauesten Kennern der politischen Dialektik nicht ganz einfach fallen. Die Stunde der Wahrheit naht.