Willkommene US-Invasion: Als Touristen sind Gringos gerne gesehen.
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Havanna. Interessiert spazieren die "Gringos" von Ausstellungsraum zu Ausstellungsraum. Hier im "Museum der Revolution" im Herzen der historischen Altstadt Havannas, gibt es Geschichtsunterricht zum Anfassen. Und der ist keineswegs so schmeichelhaft für die Gäste aus dem Norden. Die USA kommen hier besonders schlecht weg und viele der ersten US-amerikanischen Touristen, die sich nach Beginn der Reiseerleichterungen in das Land fast ohne Internet und WLAN aufgemacht haben, finden sich einmal plötzlich in der Rolle des Bösewichts wieder.
Hier, wo die Überbleibsel eines US-amerikanischen Angriffs ausgestellt sind, den es nach amerikanischer Lesart eigentlich gar nicht gegeben hat, bleiben auch Bob und Ann aus Oklahoma stehen. "Es ist interessant, die kubanische Sichtweise zu hören und kennenzulernen, denn die unterscheidet sich ja ganz erheblich von unserer Geschichtsschreibung", sagt der 39 Jahre alte Mann aus dem Mittleren Westen. Wie fast alle amerikanischen Touristen fotografiert er die ausgestellten Trümmerteile, nimmt sich Zeit für die Heldentaten der kubanischen Rebellen. Es sind keine Pauschaltouristen, die als "Pioniere" nach Kuba kommen, sondern meist gut gebildete, an der Geschichte und der Kultur Kubas interessierte Amerikaner.
Kuba ist für sie ein riesiges Freilichtmuseum mit Geschichte zum Anfassen. Sie saugen die Eindrücke in sich auf. Die Parolen in vergilbter Farbe von den Häuserwänden erinnern daran, wer hier das Sagen hat. Die Slogans schwärmen von der unumstößlichen Revolution und dem Ein-Parteien-Staat und wirken aber schon antiquiert.
Nach einem Beschluss von US-Präsident Barack Obama von Mitte April soll der Karibikstaat in den kommenden Tagen offiziell von der US-Liste der sogenannten Terrorunterstützer-Staaten gestrichen werden. Damit wäre ein wichtiges Hindernis für die Annäherung zwischen beiden Staaten endgültig beseitigt.
Die Eröffnung einer US-Botschaft auf Kuba und die Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen ist laut dem US-Senator Tom Udall inzwischen nur mehr eine "Sache von Wochen". Auch für die Aufhebung des Wirtschaftsembargos macht die demokratische Delegation bei ihrem Besuch auf der Karibik-Insel Mut: Nur noch eine kleine (republikanische) Minderheit würde sich für die Beibehaltung des Embargos aussprechen. In der US-Bevölkerung gebe es "starken Rückhalt" für eine Aufhebung der Handelssanktionen. Obwohl schon Gesetzesentwürfe zur Lockerung in Arbeit seien, werde es bis zu einer vollständigen Aufhebung aber noch dauern.
Schöne neue Fassaden
Die Zeit bis dahin nützt Kuba, um sich zu öffnen, zumindest nach außen. Innenpolitisch bleibt bis jetzt alles beim Alten. Politisch Andersdenkende werden ausgegrenzt, öffentlich gedemütigt und verhaftet. Kubas Kommunisten dulden keinen anderen Gott neben Fidel Castro, wer trotzdem anderer Meinung ist, für den wird es ungemütlich.
Von all dieser Ungemütlichkeit bekommen die US-Amerikaner allerdings kaum etwas mit. Nur als sich ein paar Bettler unter die Touristen mischen, um einen der begehrten "Auslands-Pesos" zu ergattern, die die devisenstarken Gäste Zwangsumtauschen müssen, wird es einmal kurz hässlich: Die Bettler werden als Vaterlandsverräter beschimpft. Armut gibt es in dieser Form in Kuba offiziell nicht, dass die Touristen so etwas sehen, ärgert viele kubanische Kommunisten.
Die Reiseerleichterungen zwischen Washington und Havanna machen neue Begegnungen möglich. "Ich wollte schon immer mal nach Kuba, jetzt hat sich die Gelegenheit ergeben und ich habe sofort zugegriffen", sagt Brad Smith aus New Orleans. Verheiratet ist er mit einer Exilkubanerin, die ihm nun ihr Land zeigt.
Auch im "Haus von Che Guevara" mit Blick über Havannas Altstadt von der anderen Seite des Ufers sammeln sich Momente, die viele US-Touristen erst einmal verstummen und die Aufarbeitung dieser Geschichte aufsaugen lässt. "Mich erinnert das Ganze ein bisschen an Glasnost und Perestroika aus der Zeit von Gorbatschow", sagt Adam Winter aus New York, der sich mit Freunden im Restaurant "La Moneda" in einer schmucken Gasse Havannas zum Rotwein trifft. Diejenigen Kubaner, die Englisch verstehen, hören aufmerksam zu. Die Gringos sind hier willkommen. Viele Kubaner haben sie kleine US-Flaggen ins Auto gesteckt, so viel Ungehorsam muss sein.
US-amerikanische Sprachfärbung ist inzwischen überall zu hören: ob im Hotel Parque Central, einem der populärsten Hotels der Stadt, oder in den deutlich preiswerteren Hostals Havannas, die sich auf Rucksacktouristen spezialisiert haben. Der Wandel ist greif- und spürbar in der Drei-Millionen-Stadt, zumindest dort, wo Touristen willkommen sind. Es gibt viele Baustellen, die historische Altstadt verpasst sich ein Facelifting, Gasse für Gasse, Fassade für Fassade wird aufbereitet. Es entsteht, ähnlich wie im kubanischen Badeort Varadero, eine Parallelgesellschaft, die mit dem alltäglichen Leben der Kubaner kaum etwas gemein hat. Diese Parallelgesellschaft hat ihren Preis: Wer westlichen Standard will, muss auch westliche Preise bezahlen. Weiter draußen, dort, wohin sich keine Touristen verirren, wo der tägliche Überlebenskampf tobt, bekommen die Kubaner von diesen Veränderungen nichts mit.
Anpassen oder abwandern
Havanna rüstet sich derweil für einen noch größeren Ansturm: Wenn die US-Fluglinien erst einmal ihren Flugplan auf Havanna abgestimmt und auch die Fähren ihren Dienst aufgenommen haben, wird die Zahl der Touristen aus den Vereinigten Staaten noch weiter steigen. Eines der größten Prestigevorhaben ist das Hotel "Manzana" im Herzen der Altstadt, welches dank seiner historischen Fassade schon bald zum neuen Hotspot der Stadt werden könnte. Der Umtausch in den CUC, dessen Wert sich vom "Inlands-Peso" deutlich unterscheidet, spült dank der neuen Besucherströme Millionen als wertvolle Devisen ins Land. Das und die Öffnung des Tourismussektors für private Anbieter sorgt für eine beeindruckende Entwicklung Havannas, die allerdings auch dazu führen kann, dass die alteingesessenen Kubaner bald dieses Stückchen Altstadt verlassen müssen, wenn es ihnen nicht gelingt, Teil des Wandels zu werden. Luxusapartments und Hotels entstehen nun mal an den besten Plätzen, wer die Preise nicht zahlen kann, wird bald verschwinden.
Unterdessen reibt sich der kubanische Tourismusminister Manuel Marreno die Hände. Anfang Mai zählte er über 120 Reiseveranstalter und Tour-Organisatoren aus den USA, die erstmals bei der Internationalen Tourismusmesse in Cayo Coco mit von der Partie waren. "Das Embargo bleibt aber ein Hemmnis, dass die US-Bürger nicht frei reisen lässt", sagt Marreno. Seine Botschaft hat ein klares Ziel: Erhöht die US-Tourismusindustrie den Druck auf Washington, sodass die Reisebeschränkungen weiter gelockert werden, profitieren beide Seiten. Kuba ist bereit, dem Touristendollar den roten Teppich auszurollen.
Wie wichtig der Tourismus für die kubanische Wirtschaft ist, zeigten die jüngsten Zahlen. Erstmals übersprang die Zahl der Touristen, die auf die kommunistische Insel kamen, im Jahr 2014 die magische Grenze von drei Millionen Besuchern. Sie spülten rund zwei Milliarden US Dollar in die Kassen. Und da war von der diplomatischen Annäherung zwischen den USA und Kuba noch nichts zu spüren. In diesem Jahr werden diese Zahlen geradezu explodieren, erwarten die Experten. Doch erst wenn alle Reisebeschränkungen aufgehoben sind, wird die ganze gesellschaftliche und wirtschaftliche Wucht der "amerikanischen Invasion" zu spüren sein.
Kaum eine Woche, in der nicht neue Nachrichten vom atemberaubenden Tempo der Veränderungen berichten: Erstmals legten am Wochenende mehrere Dutzend Sportsegler aus den USA im Rahmen der "Havanna Challenge" in der kubanischen Hauptstadt an. Sie waren mit der notwendigen Erlaubnis von Key West in Florida in See gestochen. Eine Route, die umgekehrt in den vergangenen Jahrzehnten vor allem verzweifelte kubanische Bootsflüchtlinge einschlugen.