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Welle an Hilfsbereitschaft rollt an

Von Martyna Czarnowska

Politik

Nachbarstaaten der Ukraine sagen Aufnahme und Versorgung von Kriegsvertriebenen zu.


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Der erste Zug aus Kiew kommt um 10.08 Uhr am Warschauer Ostbahnhof an. Er ist voller aufgewühlter Menschen, Familien mit weinenden Kindern. Tränenüberströmt ist auch das Gesicht der Frau, die am Bahnsteig wartet. Sie holt ihren jüngsten Sohn ab. Er sei der Einzige, den sie zur Reise nach Polen überreden konnte, erzählt sie. Ihre Mutter wolle die Ukraine nicht verlassen, ihr älterer Sohn sich zum Militär einziehen lassen.

Berichte, wie dieser in der Tageszeitung "Gazeta Wyborcza", sind am Donnerstag in etlichen polnischen Medien zu lesen. Seit Wochen herrscht in dem Land Alarmstimmung, ist von Kriegsszenarien nach einem russischen Angriff in der Ukraine die Rede. Ein Krieg, der sich wohl nicht nur auf den Nachbarstaat beschränken werde.

Auf rund 530 Kilometern teilt Polen mit der Ukraine eine Grenze. Der Einmarsch russischer Truppen dort führt nicht nur zu militärischen Krisensitzungen in Warschau. Auch humanitäre Notfallpläne stehen nun vor der Umsetzung. Wie andere EU-Nachbarn der Ukraine - die Slowakei, Ungarn und Rumänien - rüstet sich Polen für die Aufnahme von Flüchtlingen. Die Bereitschaft dazu haben bereits Premier Mateusz Morawiecki und Innenminister Mariusz Kaminski deklariert.

"Empfangsstellen" in Polen

Mehrere "Empfangsstellen" wurden nahe der Grenzübergänge zur Ukraine errichtet, Grenzschützer sollen über die Menschen über Aufenthalt in Polen informieren. Wer keine Bleibe hat, soll in weitere Ortschaften transportiert werden. Schon vor Wochen wurden die Bezirke und Gemeinden angehalten, Listen mit Unterkunftsmöglichkeiten zu erstellen. Krankenhäuser bereiten sich auf die Versorgung von Verwundeten vor. Aber auch private Initiativen haben sich bereits gebildet. Die ersten Hilfslieferungen an ukrainische Städte wurden schon organisiert.

Nach inoffiziellen Schätzungen könnten bis zu einer Million Menschen nach Polen fliehen. Etliche von ihnen werden aber wohl zunächst Unterschlupf bei ihren Angehörigen finden: Hunderttausende Ukrainer wohnen und arbeiten seit Jahren im Nachbarland. Der Verkehr an den Grenzübergängen nahm im Laufe des Donnerstags stetig zu.

Auch in Rumänien und Ungarn trafen Kriegsvertriebene ein. Die nordrumänischen Kommunalbehörden seien auf die Aufnahme der Menschen vorbereitet, teilte Innenminister Lucian Bode mit. Vor wenigen Tagen erst hatte er erklärt, dass sein Land bis zu 500.000 Flüchtlinge beherbergen könnte. Präsident Klaus Johannis wiederum betonte, dass Rumänien bereit sei, die wirtschaftlichen und humanitären Konsequenzen einer langen Krise zu tragen. Gleichzeitig rief er zu einer "Konsolidierung" der Ostflanke des Militärbündnisses Nato auf, wie die Nachrichtenagentur Reuters zitiert.

Ungarn und die Slowakei wiederum schickten Truppen an ihre Grenzen mit der Ukraine. Die Soldaten sollen ebenfalls bei der Flüchtlingsaufnahme helfen. Die ungarische Minderheit in der Ukraine umfasst an die 140.000 Menschen, die vor allem im Westen des Landes leben. Die Regierung in Budapest deklarierte ebenfalls bereits, Kriegsvertriebene im Land aufnehmen zu wollen. Militärische Unterstützung für die Ukraine, in Form von Waffenlieferungen beispielsweise, lehnt sie - im Gegensatz zu etlichen anderen Nato-Staaten - hingegen ab. Lediglich humanitäre Hilfe käme in Frage, meinte Premierminister Viktor Orban.

Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR appelliert jedenfalls an die Nachbarländer der Ukraine, die Grenzen offen zu halten. Der Hohe Flüchtlingskommissar Filippo Grandi zeigte sich via Aussendung "tief besorgt" über die "sich schnell verschlechternde Lage" in der Ukraine und rief dazu auf, den Zugang für humanitäre Hilfe nicht zu versperren. Das fordern ebenfalls Hilfsorganisationen wie Rotes Kreuz und Caritas.

EU verspricht Unterstützung

Unterstützung will auch die EU anbieten, wobei ihre Notfallpläne ebenfalls vor allem auf die Nachbarn der Ukraine ausgerichtet sind. Gleichzeitig wiederholten Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel, dass die EU an der Seite der Ukraine stehe. Sie versprachen dem Land weitere "politische, finanzielle und humanitäre Unterstützung".

Hilfsangebote kamen ebenso aus mehreren EU-Staaten - unter anderem aus Österreich, das sich noch im Vorjahr gegen die Aufnahme von Flüchtlingen aus Afghanistan ausgesprochen hatte. Bundeskanzler Karl Nehammer betonte, dass es sich nun um "Nachbarschaftshilfe" handle, die eine "Selbstverständlichkeit" sei. Zusagen kamen ebenfalls aus den Bundesländern. Alle von diesen würden, falls notwendig, ukrainische Kriegsflüchtlinge aufnehmen, verkündete der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner, der aktuell Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz ist. Mit Prognosen, wie viele Menschen nach Österreich kommen könnten, halten sich die Politiker jedoch zurück.