Was tut ein ehemaliger Parteifunktionär und Sozialversicherungschef? Zurufe aus der Altgespenster-Loge? Weltreisen? Pantoffelfernsehen? Golf? Viermal nein. Auch auf die Idee, dass er Bücher schreibt, könnte man noch kommen. Aber so eins wie das jüngste von Herbert Kohlmaier hat keiner noch verfasst: eine Analyse der Zeitläufte, Kirchen- und Politikkritik, wirtschaftsliberal und fromm.
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Die Botschaft: Die Welt ist im Umbruch, die Gesellschaft ordnet sich neu, wer dem Wandel zu entkommen glaubt, ist Illusionist, wer schmerzlose Umstellung erhofft, ein Sozialromantiker. Im globalen Wettbewerb hat die Marktwirtschaft gesiegt, es gibt auch keine ernsthafte Alternative, man soll sie möglichst wenig einengen, aber moralisch muss sie sein.
Der Autor erwartet befruchtende Impulse von der christlichen Sozialethik, aber auch wieder nicht viel mehr als jesuanische Grundsätze für soziales Individualverhalten, und das von einer erneuerungsbereiten Kirche. Die Buchkapitel zu den Themen Religion und Sozialpolitik sind eng miteinander verschränkt, das Ganze fast 500 Seiten lang - und doch spannend. Über Wesen und Person Jesu oder die Frage, warum Gott Leid zulässt, liest man in vielen theologischen Büchern weniger Gescheites. Und Vorschläge für erste Schritte einer Sozialreform hat kein Sozialtheologe je so konkret formuliert.
Nicht wenige werden Kohlmaiers undifferenzierte Kapitalismus-Akzeptanz, seine Zweifel an der Effizienz rechtlicher Rahmenbedingungen für eine weltweite soziale Marktwirtschaft einschließlich sozialer (und ökologischer!) Mindeststandards sowie die Abqualifizierung aller Globalisierungskritiker als Ärgernis empfinden. Aber viele wertvolle Denkanstöße enthält das Buch allemal, das man blätternd zur Hand nimmt und gefesselt lesend beendet.
Herbert Kohlmaier, Am Ende der Ideologien - Die Hoffnung bleibt, Edition Va Bene, brosch., 478 S.