Die Führungsrolle der USA besteht laut Präsident Obama künftig nicht nur darin, alles allein zu machen, sondern die Bedingungen für die Mitarbeit anderer zu schaffen.
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Nach nur einer Woche, sagte US-Präsident Barack Obama am Montag, hätten die USA in Libyen ihr Ziel erreicht, nämlich das Abschlachten der Rebellen zu verhindern. Heißt das, Obama ist bereit, ähnliche militärische Hilfe auch anderen in Bedrängnis geratenen Demonstranten angedeihen zu lassen, in Bahrain zum Beispiel, im Jemen oder in Syrien? Vermutlich nicht. Wie aus regierungsnahen Quellen zu erfahren ist, sieht Obama das Eingreifen in Libyen nicht als Präzedenzfall für ähnliche Interventionen in der Region.
Obama vertritt hier eine Vorgangsweise, die viel gemeinsam mit dem hat, was ich vorige Woche bei meiner Moskau-Reise von US-Verteidigungsminister Bob Gates zu hören bekommen habe: Die USA sollten nur dann im Alleingang Truppen einsetzen, wenn zentrale US-Interessen auf dem Spiel stehen. Ist das nicht der Fall, wie zum Beispiel in Libyen, sollten die USA nur mit Alliierten gemeinsam militärisch vorgehen. Anders ausgedrückt: Die USA wollen nicht den Polizisten spielen. Sie sind aber bereit, die Rolle des Polizeichefs zu übernehmen und internationale Friedenseinsätze zu organisieren.
In einer Schlüsselpassage seiner Rede drückte Obama das folgendermaßen aus: Die Führungsrolle der USA bestehe nicht nur darin, alles allein zu machen und alle Last allein zu tragen, wahre Führungsqualität schaffe auch die Bedingungen und Bündnisse für die Mitarbeit anderer. Obama möchte das aber nicht offiziell als "Obama-Doktrin" festmachen, um sich einen möglichst großen Spielraum zu erhalten.
Aber wie geht es nun weiter? Auf die militärische Eingangsphase der Libyen-Kampagne werden politische und diplomatische Anstrengungen folgen (und auch Geheimdienstaktivitäten), alles mit dem Ziel, eine Regierungskoalition zustande zu bringen, die Libyen nach Gaddafis Abgang führen kann.
Obama weiß, dass das eine chaotische Aufgabe ist, aber wenigstens handelt es sich um ein Chaos, mit dem die USA nicht allein sind: Sie haben Gesellschaft auf dem holprigen Weg, von der UNO und von europäischen und arabischen Staaten.
Der Kontakt zu den Rebellen und zu potenziellen Aussöhnungswilligen innerhalb des Gaddafi-Regimes zur Bildung einer künftigen Regierung soll laut Denis McDonough, Stellvertreter des nationalen Sicherheitsberaters, bereits bestehen. Die libysche Opposition ist eine derart bunt zusammengewürfelte Gruppe, dass es dem Weißen Haus vermutlich ganz recht ist, noch ein bisschen mehr Zeit zum Kennenlernen der Akteure zu haben.
Obamas Rede zeigte deutlich, wie sehr Präsidentschaften eine Sache von Versuch und Irrtum sind: Er selbst, der zum Teil geraden wegen seiner starken Gegnerschaft zum Irakkrieg gewählt wurde, schickt heute mehr US-Truppen auf Schlachtfelder, als es vor ihm der Fall war. Allerdings tut er das immer widerwillig und zögert es durch ausgiebige Diskussionen hinaus.
Die Libyen-Rede von Obama war gut, aber er müsste bald ein zweite Kairo-Rede halten, mit einer kohärenten Strategie für die Region. Wie er selbst sagte: "Die Geschichte ist in Bewegung" - von Marokko bis zum Iran und, ja, auch bis Afghanistan und Pakistan.
Wenn es Obama gelingt, seine Afghanistan-Pakistan-Politik mit der Demokratiewelle zu verbinden, die Tunesien und Ägypten verwandelt hat, kann er die zentrale Aufgabe seiner Präsidentschaft lösen.
Übersetzung: Redaktion Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post". Originalfassung