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Berta Zuckerkandl-Szeps entstammte dem liberalen jüdisch-großbürgerlichen Milieu Wiens. Ihre Rolle als Salonnière und internationale Vermittlerin ist legendär. Am 13. April jährt sich ihr Geburtstag zum 150. Mal.
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"In meinem Salon ist Österreich", so betitelte der Schriftsteller und Journalist Lu- cian O. Meysels seine kenntnisreiche Biographie über Berta Zuckerkandl und ihre Zeit. Berta Zuckerkandl war jahrzehntelang die wohl bekannteste und einflussreichste Salonnière Wiens. Ihre beiden Salons in der Unterdöblinger Nusswaldgasse Nr. 22 zunächst und einige Stockwerke über dem Café Landtmann im Palais Auspitz-Liebe in der Oppolzergasse 6 später waren der Treffpunkt vieler prominenter Persönlichkeiten, die in Kultur und Wissenschaft, in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft in der Kaiserzeit und dann in der Ersten Republik eine ausschlaggebende Rolle spielten.
Im Salon der liberalen, kultivierten, kosmopolitisch gesinnten Dame aus jüdisch-großbürgerlicher Familie wurden politische Gespräche geführt, künstlerische Ideen geboren, gesellschaftlich tabuisierte Themen erörtert, Feindschaften beigelegt und neue Freundschaften geschlossen. Die Hausherrin verstand es zu vermitteln, Projekte anzuregen und, auch das zeichnete sie aus, geistreiche Gespräche über die verschiedensten Bereiche zu führen.
Berta Zuckerkandl war das zweitälteste von fünf Kindern (drei Mädchen und zwei Knaben) des Zeitungsherausgebers Moriz Szeps, der im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts in der Kaiserstadt an der Donau eine hochpolitische, höchst umstrittene Rolle spielte.
Die Journalistik wurde Moriz Szeps freilich nicht in die Wiege gelegt. Er war der Sohn eines Arztes, der in einer Kleinstadt in Galizien eine gut gehende Praxis betrieb. Der emanzipatorisch gesinnte Papa ließ seinem begabten Sohn nach der Absolvierung des Gymnasiums selbstverständlich eine akademische Karriere angedeihen. Moriz studierte Chemie an der Universität Lemberg.
Vernetzt & vermögend
Das geistige Leben in der Hauptstadt des abseits gelegenen Kronlandes der Österreichisch-Ungarischen Monarchie wurde ihm jedoch bald zu eng. Wie viele seiner Studienkollegen schlug er seine Zelte in Wien auf, wechselte aber das Studienfach. Um sein Medizinstudium zu finanzieren, schrieb der literarisch und naturwissenschaftlich interessierte junge Mann Artikel in einschlägigen Zeitschriften, die bei den Lesern großen Anklang fanden. Als ihn, auf ihn aufmerksam geworden, August Zang, der Begründer der Tageszeitung "Die Presse", zur Mitarbeit einlud, gab er das Studium auf und betätigte sich fortan journalistisch.
Es war der Beginn einer steilen, kometenhaften Karriere. Nach etlichen unerquicklichen Querelen auf dem Wiener Zeitungsmarkt gründete Szeps 1876 das "Neue Wiener Tagblatt", das sich bald zu einem führenden Presseorgan in der Kaiserstadt entwickelte. Die vom Chefredakteur linksliberal ausgerichtete Zeitung sprach mit ihrer hervorragenden Berichterstattung über die aktuellsten Ereignisse breitere Bevölkerungskreise an als die elitäre "Presse" und steigerte von Jahr zu Jahr die Auflage.
Moriz Szeps war gut vernetzt, wie man freundschaftliche Verknüpfungen heute verharmlosend beschreibt. Er unterhielt ausgezeichnete Beziehungen zu höchsten politischen Kreisen in Frankreich, und mit Kronprinz Rudolf, der für seine Zeitung anonym Artikel schrieb, verband ihn ein wechselseitiges Vertrauensverhältnis.
Der hervorragende Umsatz seines Blattes machte ihn wohlhabend. Das beträchtliche Monatseinkommen, über das er verfügte, ermöglichte ihm den Ankauf eines schönen Grundstückes in der Liechtensteinstraße Nr. 51 im heutigen 9. Wiener Gemeindebezirk, auf dem er ein kleines, aber feines Palais errichten ließ. Szeps übersiedelte dorthin im Oktober 1878.
Es war das Jahr, in dem auf dem Wiener Kongress nach einem Krieg zwischen dem russischen Zarenreich und der Türkei der Habsburgermonarchie Bosnien und die Herzegowina zugesprochen wurde, ein staatliches Gebilde auf dem Balkan, das die europäische Politik immer wieder und bis heute beschäftigt.
Moriz Szeps reiste nach Berlin, um vom Geschehen brandaktuell berichten zu können. Seine Gemahlin reiste ihm mit den Kindern kurzerhand nach. Und das in einem eigenen Salonwagen! Für das vierzehnjährige Mädchen Berta war der Aufenthalt in Berlin, wo sie dem britischem Premierminister Benjamin Disraeli vorgestellt wurde, ein Ereignis, das sich ihrem Gedächtnis unauslöschlich eingeprägt hat.
Ein weiterer Markstein in ihrem jungen Leben war die Übersiedlung in das neue Domizil in der Liechtensteinstraße, in dem das wohl behütete, allem Schöngeistigem aufgeschlossene Mädchen seine gesellschaftliche Prägung erfuhr. "Das Haus ist schön", hielt sie ihre ersten Eindrücke im Tagebuch fest. "Parterre und erster Stock sind umgeben von einem Garten, der bergauf geht. Im Parterre sind die Schlafzimmer von Papa und Mama und auch meine Brüder haben extra Schlafzimmer. Dann ist noch eins für Sophie und mich da und sogar eines für Ella (. . .). Im ersten Stock sind die Empfangsräume. Eine wunderbare Treppe führt hinauf. . ."
Im Palais am Alsergrund, wo Berta zur jungen Dame heranwächst, lernt sie eine Reihe bedeutender Persönlichkeiten kennen, die der Vater zu Gesprächen und Empfängen einlädt. Unter vielen anderen ist oftmals der urwüchsige Komödiant Alexander Girardi zu Besuch. Und auch ein ungewöhnlicher ausländischer Gast findet sich ein: der französische Linkspolitiker Georges Clemenceau, dem man eine große politische Zukunft voraussagt. Der frankophile Zeitungsmann Szeps ist ein erbitterter Gegner des 1871 gegründeten Deutschen Reiches. Er hat in geheimer Übereinstimmung mit Kronprinz Rudolf Kontakte zu Clemenceau geknüpft. Diese Kontakte werden zur familiären Beziehung, als Bertas ältere Schwester Sophie nämlich Paul Clemenceau, einen Bruder von Georges, heiratet.
Journalismus & Politik
Im elterlichen Haus begegnet Berta dann bei einer Soiree dem Mann ihres Lebens: dem Arzt Emil Zuckerkandl. Der um fünfzehn Jahre ältere Anatom hat bereits einen Lehrstuhl an der Grazer Universität inne. Aber es ist nicht die Position, die Berta imponiert, sondern die Persönlichkeit. Der junge Gelehrte ist zwar keineswegs ein Salonlöwe, aber er strahlt Charakterstärke und einen unwiderstehlichen Charme aus. Drei Jahre nach der ersten Begegnung, am 15. April 1886, geben Berta Szeps und Emil Zuckerkandl einander das Jawort.
Berta übersiedelt für kurze Zeit zu ihrem Mann nach Graz. Nach seiner Berufung an die Wiener Universität kauft das Ehepaar eine Villa in einer stillen Vorstadtgasse in Döbling. Dort richtet Berta Zuckerkandl einen Salon ein, der sich im Nu zum Treffpunkt der Wiener künstlerischen Avantgarde entwickelt. Ihr gastliches Haus frequentieren zahlreiche Schriftsteller wie etwa Hermann Bahr und der junge Arthur Schnitzler, dessen literarisches Genie die elegante Kulturlady sofort erkennt und publizistisch unterstützt.
Als Redakteurin der "Wiener Allgemeinen Zeitung" und Mitarbeiterin des "Neuen Wiener Journals" tritt die feinsinnige Dame vehement für die neue Kunst ein. Gemeinsam mit ihrem Gemahl selbstverständlich auch für Gustav Klimt, dessen Deckengemälde für den Festsaal der Wiener Universität in Wien in reaktionären Kunstkreisen einen Sturm der Entrüstung entfachen.
Zu den Gästen ihres Salons zählen aber auch Kunst- und Musikkritiker, berühmte Ärzte und Wissenschafter. Ihr Name ist aus dem Wiener Kulturleben bald nicht mehr wegzudenken. Sie wird geschätzt, verehrt. Karl Kraus freilich überschüttet sie mit Häme. Er bezeichnet sie als "Kulturschwätzerin".
Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts wird das Leben Berta Zuckerkandls von schweren familiären Schicksalsschlägen erschüttert. 1902 stirbt der Vater, 1910 ihr geliebter Ehemann. Vier Jahre später stürzt der Ausbruch des Ersten Weltkrieges die pazifistisch gesinnte Frau in tiefe Verzweiflung. Sie bäumt sich gegen den "Hassrausch" auf, der rund um sie aufbraust, und stellt sich nach dem Tod des alten Kaisers für die Vermittlung eines Separatfriedens zwischen Frankreich und der Donaumonarchie zur Verfügung. Ihre Bemühungen bleiben trotz ihrer hervorragenden Kontakte ohne Ergebnis.
Nach 1918 übernimmt Berta Zuckerkandl auch in der jungen Republik unter völlig veränderten politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen Dienste als Mediatorin. Als sie der neue Außenminister Otto Bauer ersucht, mit einer Delegation in die Schweiz zu reisen, um dort als Kontaktperson zu ihrem Freundes- und Bekanntenkreis in Frankreich alliierte Lebensmittelhilfe für die Not leidende Bevölkerung zu erbitten, sagt sie selbstverständlich zu. Ein paar Jahre später trägt sie ihr Scherflein dazu bei, dass Bundeskanzler Ignaz Seipel auf dem Höhepunkt der Hyperinflation zur Sanierung der Wirtschaft eine Völkerbundanleihe bekommt.
Engagement & Exil
Auch im kulturellen Bereich entfaltet sie in ihrem neuen Domizil im Palais an der Ringstraße wieder ihre bewährten und geschätzten Aktivitäten. In der Oppolzergasse treffen sich an Sonntagnachmittagen bei Tee oder Kaffee und belegten Brötchen Dichter, Schauspieler und Politiker zu einem "Jour fixe". Egon Friedell ist darunter, Theodor Csokor und die beiden politischen Widersacher Ignaz Seipel und Julius Tandler. Weltanschauliche Gegensätze werden im Salon der liebenswürdigen Gastgeberin nicht ausgetragen. Höfliche Umgangsformen und gegenseitige Achtung sind dort ein ungeschriebenes Gesetz.
Journalistisch betätigt sich Berta Zuckerkandl weiterhin, kommentiert die österreichische Außenpolitik in einigen Printmedien und macht Interviews mit Politikern. Sie unterstützt die von Hugo von Hofmannsthal und Max Reinhardt initiierte Idee, in Salzburg Festspiele zu veranstalten, und schreibt für das erste Festspielprogramm das Vorwort. Für den 1923 gegründeten Paul Zsolnay Verlag übersetzt sie französische Theaterstücke ins Deutsche.
In der österreichischen Innenpolitik spitzen sich indessen die Gegensätze zwischen dem bürgerlichen und dem sozialdemokratischen Lager dramatisch zu. Berta Zuckerkandl sieht das Unheil des Bürgerkrieges von 1934 herannahen, aber sie vermag es natürlich nicht abzuwenden.
Vier Jahre später flieht sie vor den Nazis nach Paris und dann weiter nach Algier. Schwerkrank kehrt sie nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in die geliebte Stadt an der Seine zurück. Am 16. Oktober 1945 ist die große Österreicherin in Paris gestorben.
Friedrich Weissensteiner war Direktor eines Wiener Bundesgymnasiums und ist Autor zahlreicher historischer Bücher, u.a. "Die rote Erzherzogin", "Die Frauen der Genies", "Große Herrscher des Hauses Habsburg".